
Blick aus unserer Ferienwohnung nach Kvaløya
Montag, 18. März
Das Wetter ist – entgegen der Vorhersage – zumindest heute morgen noch mehr als freundlich, um nicht zu sagen: Bombe. Melanie hat sich darum beim Frühstück von mir breitschlagen lassen, für diesen Tag ein Paar Langlauf-Skier zu mieten und mit uns auf die Loipe zu gehen. In der Stadt bekommt man alles an Leih-Equipment, was man jemals für einen gelungenen Winterurlaub brauchen könnte, und das zum großen Teil auch in richtig hochwertig. Mit den Skiern im Gepäck fahren wir nach Charlottenlund, wo es in der geographischen Mitte der Insel einen großen P&R-Parkplatz gibt. Hier beginnt auch ein angenehm flacher Teil der Stadtloipe, die sich ansonsten durch regelmäßige Anstiege und Gefälle auszeichnet. Direkt neben dem Einstieg ist eine große Kunsteisbahn angelegt, auf der ein paar Schulklassen Eishockey spielen. Das wäre was für unseren Sohn Johannes: Eishockey als Sportunterricht!
Melanie schnallt sich die Skier an und versucht die ersten zaghaften Schritte in einer wenig befahrenen Nebenloipe. Gut, daß es heute hier nicht so voll ist wie gestern, denn eine effektive Lauftechnik muß man erst einmal wieder üben. Nach einigen Minuten hat meine Liebste einen Rhythmus gefunden, mit dem sie langsam, aber halbwegs sicher vorwärts kommt. Irgendwie scheint es aber doch schwerer zu gehen, als ich dachte. Auch Melli sagt, daß sie sich vorkommt, als laufe sie mit angezogener Handbremse. Und das raubt natürlich Kraft. Sie kämpft noch eine Weile tapfer mit der Technik und gegen die Ermüdung, aber irgendwann merken wir beide, daß es keinen Sinn mehr hat und arbeiten uns zurück zum Auto. Unterwegs treffen wir auf Silke und Holger, die heute nach dem Frühstück klar Schiff gemacht haben und anschließend auf der Loipe in Richtung Charlottenlund unterwegs waren.
Melanie und ich fahren mit dem Auto zurück zur Wohnung, wo sich meine Liebste erst einmal auf die Couch legt und ein paar Minuten ruht. Was mag wohl mit ihr los sein? Als Holger und seine Frau wieder in der Wohnung eintreffen, sich geduscht und stadtfertig gemacht haben, gibt es einen kleinen Imbiß zum Lunch. Danach steigen wir ins Auto und fahren in die City. Einen kleinen Spaziergang zum Souvenirs shoppen schaffen alle, zumal uns das Wetter immer noch freundlich gesonnen ist. Beim „Kysten‘s Mathus“ gibt es exzellenten frischen Fisch zu kaufen, von dem wir ein paar appetitlich aussehende Skrei-Filets mitnehmen, um diese heute abend daheim in der Pfanne zu braten.
Angesichts der Wettervorhersage wollen wir nach dem Essen einmal mit der Seilbahn hoch auf den Hausberg, um vielleicht von dort aus ein paar Nordlichter, zumindest aber den Sonnenuntergang zu genießen. Wir erreichen den Felsen gerade rechtzeitig, bevor die Sonne über Kvaløya hinter den Bergen abtaucht. Jetzt beginnt auch ein großartiges Farbenspiel am Abendhimmel. Eine halbe Stunde bleiben wir hier stehen und erfreuen uns an der Aussicht. Aber als der kalte Wind merklich auffrischt, verlassen wir unsere Position und gehen zurück zur Bergstation. Hier gibt es eine etwas geschütztere Plattform, von der aus man einen atemberaubenden Blick auf die Stadt hat.
Unseren Plan, bis zum Erscheinen der Nordlichter hier oben zu warten, lassen wir sausen und fahren wieder nach unten, um in aller Ruhe gemeinsam zu kochen und zu speisen.
Meine Frau bietet mir nach dem Essen an, mich auf eine kleine Ausfahrt vor die Tore Tromsøs zu begleiten. Aber ich sehe ihr an, daß ihr der lange Tag in den Knochen steckt und lasse sie daheim. Die Aurora-App hat bislang noch keinen Mucks von sich gegeben, da erwarte ich also nicht viel Aktivität am Himmel. Dennoch will ich auf der Insel Kvaløya ein paar Kilometer die Küstenstraße entlangfahren. Ein Kollege hat mir im Vorfeld der Reise einen Tip gegeben, wo ich ein hölzernes Schiffswrack finde, das sich gut als Fotomotiv eignet.
Nach 30 Kilometern Fahrt habe ich die Stelle erreicht, wo das Schiffs-Skelett im flachen Wasser verrottet. Zumindest kann ich es von Weitem sehen. Wir haben nahezu Vollmond, und der Schnee reflektiert dessen fahles Licht wirklich gut. Allerdings haben die Farmer, an deren Land der „Liegeplatz“ angrenzt, ihr Grundstück erst kürzlich weitläufig eingezäunt. Wenn ich das Areal umgehen will, bin ich im hüfthohen Schnee ewig unterwegs. Also probiere ich aus, was mein Teleobjektiv im Dunkeln vom nächstgelegenen Feldweg aus zustande bringt. Gar nicht übel, so lautet zumindest der erste Eindruck auf dem Display meiner Kamera.
Plötzlich bimmelt das Smartphone: Aurora-Alarm! Und schon beginnt hinter mir wieder das grüne Gewaber am Nachthimmel. An diesem angelegenen Ort kann ich die Nordlichter perfekt sehen. Da der geomagnetische Sturm noch eine Weile anhalten soll, packe ich mein Equipment zusammen und fahre zurück, um in Ersfjordbotn mein Wunschbild mit Auroren über dem Fjord zu fotografieren. Auf dem Weg dorthin muß ich immer mal wieder am Straßenrand anhalten, weil sehr lebendige Polarlichter aufgetaucht sind. Die will ich unbedingt knipsen, egal, ob das vor mir liegende Gelände etwas taugt oder nicht. In Ersfjordbotn angekommen, muß ich mir, vom Parkplatz aus kommend, erst einmal einen gescheiten Standort suchen. Nach einigem Umherstapfen im tiefen Schnee finde ich diesen Spot in einem Wäldchen mit Aussichtsfelsen etwas oberhalb des Ortskerns. Jetzt heißt es eigentlich nur noch warten und hoffen, daß ausgerechnet heute Nacht die Auroren über dem Fjord auftauchen. Tun sie aber nicht, und so breche ich nach anderthalb Stunden Warten in der Kälte meine Zelte ab und fahre wieder heim nach Tromsø. Ein paar schwache grüne Lichter haben es bis über die Berge nördlich des Fjords geschafft, sind aber allesamt nicht bildertauglich. Allerdings ist die Stelle, an der ich eben mein Stativ aufgebaut hatte, ein toller Platz, um vielleicht mit Melanie einfach mal eine schöne Aussicht auf eine typisch nordnorwegische Landschaft zu genießen. Vielleicht bietet sich in den nächsten Tagen noch die Gelegenheit dazu.
Ersfjordbotn, ohne Nordlichter
Dienstag, 19. März
Heute vormittag dümpeln wir nach dem Frühstück alle erst einmal ein bißchen herum – außer Holger, der wieder irgend etwas Wichtiges am Laptop arbeitet. Die Damen liegen auf der Coach und lesen, und ich sortiere Fotos der Reise aus. Nebenbei kann ich auch mein neues Blitzlicht ausprobieren. Mittagessen fällt heute nur sehr klein aus, denn wir wollen am Abend in eins der vielen Restaurants in der Stadt gehen.
Am Nachmittag findet nach Familien getrenntes Programm statt. Holgers Frau Silke möchte gerne der Eismeerkathedrale einen Besuch abstatten und hofft, dort vielleicht ein paar Takte auf der hauseigenen Orgel spielen zu dürfen. Meine vorherige Mail-Anfrage zu diesem Thema wurde von der Kirche schon mal komplett ignoriert, darum sehe ich also leider keine großen Chancen dafür. Melanie und ich wollen unterdessen bei Tageslicht zum Folkeparken und weiter zur Telegrafbukta gehen, um vielleicht später noch einmal in die Stadt zum Bummeln zu fahren.
In Downtown Tromsø ist heute ganz schön viel Betrieb. Kein Wunder, hat doch im Hafen mit der „Viking Sky“ ein Kreuzfahrtschiff der gehobenen Kategorie und Größe festgemacht. Dessen Passagiere stapfen nun durch die Innenstadt und füllen die Läden. Melanie würde für sich gerne eine Mütze mit Norwegermuster kaufen. So etwas sollte doch eigentlich hier zu finden sein. Wenn jedoch alle Souvenirshops voll mit Leuten sind, macht das keinen richtigen Spaß. Aber wir werden Gottseidank schnell fündig, und die Kopfbedeckung ist gar nicht mal so teuer. Paßt!
Nach getanem Einkauf treffen wir uns mit Familie Schneider wieder in der Nähe des Hafens. Viele Restaurants sind heute rappelvoll, aber wir haben eben beim Stadtbummel am Kai ein relativ unscheinbares neues Lokal namens „Full Steam“ entdeckt, dessen Spezialität lokale Delikatessen sein sollen. Diesen Laden wollen wir einmal ausprobieren und haben deshalb für den heutigen Abend einen Tisch für vier Personen reserviert.
Das Ambiente stimmt schon mal: ein umgebautes altes Speicherhaus mit offenem Dachstuhl und Empore, wo man ebenfalls essen kann. Wir sitzen im oberen Bereich. Hier sieht die gesamte Einrichtung so aus, als habe jemand bei Oma auf dem Dachboden die alten Möbel herausgeholt und entstaubt bzw. bei diversen Haushaltsauflösungen ein paar Stücke günstig erstanden. Keine zwei gleichen Teile stehen hier rum, und die schummrige Beleuchtung tut ihr übriges, um den Cozyness-Faktor zu erhöhen. Wir fühlen uns hier jedenfalls sauwohl. Auch das Essen ist hervorragend. Besonders lecker ist die Fischsuppe, die sich unsere Mädels bestellt haben. Perfekt abgeschmeckt und mit frischen Meerestieren – das schreit nach mehr. Ich wollte eigentlich ein Steak von der Robbe probieren, aber das sei leider schon ausverkauft, teilt mir unsere Kellnerin mit bedauerndem Blick mit. Schade, denn das hätte ich zu gerne mal versucht, weil ich überhaupt keine Vorstellung habe, in welche Richtung das geschmacklich geht. Als Alternative lasse ich mir die Frikadelle vom Elch empfehlen und bin damit ebenfalls mehr als zufrieden.
Wie des Öfteren nach solch‘ fürstlichem Speis und Trank bitte ich nach dem Mahl um eine Audienz in der Küche, um dem verantwortlichen Koch Lob und Anerkennung auszusprechen. Diese wird mir auch heute wieder gewährt, und ich gerate ein wenig mit dem Chef ins Plaudern. Irgendwann kommen wir auf die Robbensteaks zu sprechen, die leider heute nicht zu haben waren. Der Koch schaut mich verwundert an. Das wäre wohl ein Mißverständnis zwischen Küche und Service gewesen. Im Restaurant selbst gab es keine mehr, aber das Kühlhaus nebenan sei noch voll davon, höre ich. Und dann passiert das, woran ich mich nach Urlauben immer mit besonderer Freude erinnere. Wenn man auf die Leute zugeht und sich nett mit ihnen unterhält, kriegt man manchmal ein kleines Goodie, ohne danach gefragt zu haben. Der Koch würde gerne unsere Meinung zum Robbenfleisch hören und bietet uns an, ein paar Stücke davon aus dem Kühlhaus zu holen und als kleinen Gruß aus der Küche frisch zuzubereiten. Da sagen wir doch nicht nein! Eine Viertelstunde später stehen vier kleine Teller vor uns, darauf angerichtet ein paar saftig gebratene kleine Robbensteaks, garniert mit Salat und etwas Brot. Was für ein ungewöhnlicher Nachtisch! Und durchaus lecker. Wir bedanken uns sehr für die nette Zugabe zum ohnehin hervorragenden Menü und versprechen der Crew, bald wieder mal vorbei zu schauen.
Holger und Silke wollen zu unserer Ferienwohnung zurück laufen, um das reichliche Essen wenigstens teilweise wieder abzutrainieren. Melanie und ich fahren derweil das Auto wieder nach Hause und gehen anschließend noch ein paar Schritte hinter dem Haus spazieren. Meine Frau hat die leise Hoffnung, daß sich vielleicht noch einmal Polarlichter zeigen. Als bis dreiviertel zehn am Himmel noch alles ruhig bleibt, will sie eigentlich schon aufgeben und wieder zurück zum Quartier zurück gehen, aber ich habe das Gefühl: da kommt noch was. Also bitte ich sie, noch ein paar Minuten zu warten. Mir zuliebe, obwohl ihr kalt ist. Bei meinen vorangegangenen Sichtungen begann eigentlich immer gegen zehn am Himmel das Feuerwerk.
Und als hätte ich’s bestellt, geht um 21:50 Uhr das Gewaber los. Erst wieder, wie üblich, eher zaghaft, dann aber immer stärker. Und vor allem rund um uns herum und nicht nur in einer Richtung. Melanie kriegt sich kaum ein vor Glück, und ich bin wieder mal froh, vorsichtshalber die Kamera mit Stativ mitgenommen zu haben. Ein kurzer Anruf bei Holger und Silke – die sind inzwischen wieder daheim angekommen und können jetzt das Schauspiel vom Balkon aus beobachten. Eine knappe halbe Stunde dauert das Lichtspektakel am Himmel, dann bricht es innerhalb weniger Augenblicke komplett in sich zusammen. Aber wir haben’s gesehen und sind glücklich.
Nordlichter über dem Park hinter unserem Haus

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