
blaue Stunde am Hafen
Mittwoch, 1. März
Heute ist Halbzeit und damit ein Ausruhtag. Ich kann endlich richtig ausschlafen, nachdem ich letzte Nacht wegen des für mich zu weichen Bettes auf die Couch umgezogen bin. Während ich noch ausgiebig dusche, macht Paula heimlich Frühstück für uns beide. Wie lieb! Am Vormittag gehen wir wieder rodeln. Heute bleiben wir extra lange, weil wir keinerlei Verpflichtungen haben. Mittags kochen wir der Einfachheit halber Nudeln mit Tomatensauce. Die anschließenden Stunden verbringen wir träge auf dem Sofa.
Am späten Nachmittag sticht mich dann doch noch der Hafer. Ich würde gerne in die Stadt fahren, um die blaue Stunde zu fotografieren und mich allgemein etwas umzusehen. Paula kommt mit und will versuchen, für Johannes und Melanie vielleicht sogar ein paar Mitbringsel zu besorgen. Einige vielversprechende Shops haben wir gestern nämlich schon entdeckt. Besonders ein mobiler Sami-Store am Hafen hat es meiner Tochter angetan. Und tatsächlich findet sie dort für ihren Bruder eine Kleinigkeit: einen geschnitzten Eisbären auf seiner Scholle. Da freut sich der Jo bestimmt drüber…
Auf dem Heimweg entdeckt meine kleine aufmerksame Beifahrerin plötzlich Nordlichter. Ich halte an einer Bushaltestelle an und renne mit Kamera und Stativ ans Ufer des Tromsøysundes. Nach 3 Minuten ist aber alles schon wieder vorbei. Als ich zur Haltestelle zurückkehre, sehe ich, wie eine alte Oma unser Auto inspiziert und an die Scheibe klopft. Ich spreche sie an. Es stellt sich heraus, daß sie auf den Bus zum Tromsø-Museum warten wollte, der aber erst in 20 Minuten kommt. Ich biete der Dame an, sie dorthin zu fahren, weil das Gebäude nicht weit von unserer Wohnung entfernt liegt. Erst zögert sie noch, kann aber meinem Charme nicht allzu lange widerstehen. Auf der Fahrt zum Museum erzählt sie uns, daß sie früher dort gearbeitet hat, und jetzt mit 85 Jahren immer noch jede Woche einmal dorthin fährt. Für ihr Alter ist die Oma noch topfit. Erstaunlich. Nach dem Absetzen unserer Passagierin fahren wir nochmal zurück zum Supermarkt „Kiwi“ für einen schnellen Einkauf. Abendessen gibt es heute erneut zu Hause. Anschließend laufen wir beiden runter zur Telegrafenbucht, denn die Aurora-App auf meinem Smartphone hat einen Aktivitäts-Alarm von sich gegeben. Das will ich nicht verpassen. Allerdings sehen wir nur schwache Polarlichter am Ende der blauen Stunde.
Spooky: eine reichlich aufgeregte Frau rennt die ganze Zeit hektisch am Ufer herum, telefoniert lautstark mit ihrem Handy und ruft die ganze Zeit: „Kischde? Kischde?“ Offenbar sucht sie eine ältere Dame. „Kischde“ scheint wohl deren Name zu sein. Die Suchende kommt auf uns zu: „Nein, wir haben die Frau nicht gesehen.“ antworte ich. Daraufhin erhalten wir eine kurze Personenbeschreibung. Auf dem Heimweg – die jungsche ist immer noch am Suchen – fällt uns am Parkplatz eine alte Dame auf, die in einem Kleinwagen mit laufendem Motor sitzt und offensichtlich dort wartet. Auf sie paßt die eben abgegebene Beschreibung. Was sollte das also? Wer ist hier verwirrt? Die olle, die junge oder wir? Seltsam…
Rentier- und Samicamp in Tønsvik
Donnerstag, 2. März
Heute können wir nicht so lange ausschlafen wie gestern, denn es steht die letzte geplante Action an: der Besuch eines Rentier- und Samicamps vor den Toren der Stadt. Nach dem schnellen Frühstück fahren wir ins Stadtzentrum. Wieder melden wir uns brav beim Shuttlefahrer vor dem Ishavshotel ab und fahren mit eigenem Auto hin. Wir kommen noch vor dem großen Bus an und werden schon mal von den Guides begrüßt. Kurz darauf trifft auch der Rest der Besucher ein und strömt in Scharen aus dem Shuttlebus. Die heutige Gruppe besteht aus über 50 Leuten! Erwartet uns hier etwa auch so eine Massenabfertigung wie beim Villmarkssenter vor zwei Jahren? Der Guide beruhigt uns: das verläuft sich später auf dem Gelände.
Zunächst einmal müssen wir alle einrücken ins große Lavoo, ein überdimensionales Tipi mit festem Fundament. Hier erfolgt eine kurzweilige und sehr amüsante Einweisung durch das gut eingespielte internationale Team, das aus zwei Norwegerinnen, zwei original Samen unbekannter Nationalität und zwei Niederländern besteht. Man merkt ihnen sofort die Routine und den Spaß an ihrer Arbeit an.
Unsere erste Aufgabe: Futter ausgeben. Dazu erhält jeder Besucher einen Eimer mit reichlich Trockennahrung darin. Die Rentiere hatten noch kein Frühstück und sind entsprechend aufdringlich, als wir mit dem mobilen Buffet anrücken. Paula ist das sichtlich nicht geheuer, sie bleibt erst einmal hinter meinem Rücken in Deckung. Meine Tochter fühlt sich enorm unwohl wegen der Größe der Tiere und besonders jener mit den ausladenden Geweihen. Speziell die sind beim Essen fassen nicht gerade zimperlich und stoßen kleinere Rivalen von unserem Eimer weg. Aber da haben sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Das kann ich ja leiden, Wenn die Alten die schwächeren Jungtiere vertreiben wollen! Einer der großen Böcke bekommt den Boden des Eimers vor die Nase gehauen, andere werden mehr oder weniger sanft weggeschoben, bis ein weniger rabiates Rentier vor uns steht. Jetzt kommt Paula nach vorne und schmeißt ihm etwas Futter hin. Vertrauen sieht anders aus.
Wir sind ziemlich früh mit dem Schlittenfahren dran und können dem Gewusel erst einmal entfliehen. Während des halbstündigen Rundtrips beruhigt sich Mäuschen wieder und traut sich am Ende sogar, das hinter unserem Schlitten vertäute Rentier zu streicheln. Mittlerweile hat sich die Lage am Futterplatz deutlich entspannt. Alle Tiere haben gefrühstückt und verstreuen sich auf dem weitläufigen Areal. Paula läuft in meinem Windschatten und sagt mir, welche Exemplare ich fotografieren soll. Gerade die Kälber haben es ihr angetan, und so verliert sie nach und nach die Scheu.
Am Ende lassen wir auf Paulas Wunsch hin sogar den Aufruf zum Mittagessen verhallen, um noch etwas länger im Gehege bleiben zu können. Da wir gerade die einzigen Gäste auf der Außenanlage sind, nehmen wir uns die Zeit und unterhalten uns mit einem der holländischen Guides. Wenn später der in Englisch gehaltene Vortrag über die samische Kultur im großen Lavoo stattfindet, können wir zum Lunch ins benachbarte Catering-Zelt kommen. Paula versteht kein Englisch und verpaßt somit nicht viel. Es gibt noch reichlich Rentier-Stew und stückige Tomatensuppe, als wir zum Essen erscheinen. Die meisten Gäste sitzen bereits im großen Hauptzelt und warten auf den Vortragenden.
Wir gehen noch mal raus zu den Rentieren. Den traditionellen Sami-Gesang namens Joik bekommen wir auch von hier mit. Letzte Fotos werden geschossen, denn mittlerweile hat Paula Mut gefaßt und streichelt alle Tiere, die sich das gefallen lassen – auch die größeren. Nachdem der Bus mit den anderen Gästen bereits abgefahren ist, nutze ich die Gelegenheit noch für ein Feedback-Gespräch mit den Organisatoren des Camps.
Am späten Nachmittag treffen wir wieder an unserer Ferienwohnung ein. Den geplanten Besuch bei Emmas Drømmekjøkken sage ich telefonisch ab, denn der Rentiereintopf hält mich immer noch pappsatt. Wir schauen uns gemeinsam die Fotos des Tages auf dem großen Fernseher an, was eine ganze Weile dauert, denn ich habe ab und zu den Dauerfeuermodus (mit 8 Bildern pro Sekunde) aktiviert und somit viele ähnliche Aufnahmen. Da muß ich später einiges aussortieren.
Paula möchte zum Abend etwas Leichtes essen, was mir sehr recht ist. Noch mehr, da sie das Diner selbst zubereiten will. Ich kann also mit meiner „Reduktion von den RAW-Bildern“ beginnen, während die kleine Köchin nebenan irgend etwas brutzelt. Es gibt noch einmal Salat mit gebratenen Hühnerbruststreifen und Champignons für uns beide. Perfekt!
Ein kurzer Blick aus dem Fenster: Wetter sieht top aus, und die Sonne geht langsam unter. Ich würde gerne noch einmal auf den Hausberg hinauf, denn mir fehlt noch das blaue-Stunde-Foto von Tromsø im Ganzen, das ich gerne als Mitbringsel haben möchte. Paula hat keine Lust mehr auf Action und darf deshalb in der Ferienwohnung bleiben. Ich fahre allein mit der Seilbahn hoch und laufe zum mittlerweile gut gefüllten Aussichtspunkt. Dort finde ich sogar einen Platz inmitten des Fotografenpulks aus aller Herren Länder, und mir gelingen kurze Zeit später die begehrten Fotos. Halb sieben geht es wieder talwärts, weil ich Mäuseken nicht zu lange allein zu Hause lassen will. Dabei sieht der Himmel recht klar aus. Die wenigen Wolken verziehen sich, und Polarlichter sind auch vorhergesagt. Schade. Ich glaube, da ginge heute noch etwas. Die vielen Fotografen sind sicher nicht ohne Grund hier hoch gekommen. Das ideale Bild mit Auroren über der Stadt muß ich wohl irgendwann bei einem der nächsten Besuche knipsen.
Polarlicht-Experiment im Tromsø Museum
Freitag, 3. März
Letzter freier Tag und Möglichkeit für spontane Action. Paula darf sich heute noch einmal etwas wünschen und möchte nach dem kurzen Frühstück zum Abschluß noch einmal Rodeln gehen. Über Nacht hat es reichlich geschneit. Der Weg zum Folkeparken ist noch nicht geräumt, und die Bäume, die ihn säumen, tragen schwer an ihrer Schneelast. Wir sind wieder die einzigen Leute am Rodelhang. Ich habe die Kamera mitgenommen und kann ein paar Winterfotos im Park bei perfektem Wetter knipsen. Am späten Vormittag füllt sich die Rodelbahn, und da uns mittlerweile doch etwas kalt ist, ziehen wir uns wieder nach Hause zurück.
Ein wenig Bildung muß sein. Schließlich war das auf meinem Freistellungsantrag für die Grundschule der eigentliche Zweck dieser Reise. Wir besuchen das städtische Museum. Bekannt ist es dafür, daß man in einem der Räume auf Knopfdruck Polarlichter über einer metallenen Modell-Erde erzeugen kann. Der Rest der Dauerausstellung ist aber eher lahm, und auch die Sonderschau „Grusel-Fantasy-Tiere“ zieht nicht so richtig, also sind wir nach einer knappen Stunde wieder draußen.
Heute gehen wir Mittagessen bei „Emma’s Drømmekjøkken“. Schließlich will einen der Tatorte von Tim Mälzers TV-Show „Kitchen Impossible“ einmal live erleben. Paula habe ich nach dem Rodeln bereits zu Hause bekocht, weil für sie auf der Speisekarte im Internet so gar nix Gescheites dabei war. Meine Tochter genießt im Restaurant also ein schön angerichtetes Stück Schokokuchen, während ich den aus einer Sendung der unmöglichen Küche bekannten Fischauflauf nehme und nicht enttäuscht werde. Sieht wenig aus, macht aber richtig satt und schmeckt saulecker.
Wieder draußen auf der Straße vertreten wir uns die Beine bei einem letzten Stadtbummel. Ich brauche immer noch ein Mitbringsel für Melanie, das ich heute besorgen will, nachdem ich gestern um einige recht ansehnliche Souvenirs in einem der Geschenkeshops an der Hauptstraße herumgeschlichen bin. Eine ziemlich hochwertige Tasse mit Norweger-Pullover-Muster wird es, und Johannes kriegt neben seinem hölzernen Eisbären noch eine Postmappe mit Polarlicht-Aufdruck für die Schule.
Wir gehen weiter. Am Hafen liegt die MS „Trollfjord“. Paula bringt mich auf eine Idee: wir fotografieren für Johannes verschiedene Details des Schiffes und schicken ihm per WhatsApp eine Rätselnachricht im Stil des Spiels „Vier Bilder, ein Wort“. Es dauert nicht lange, bis er uns die richtige Lösung zuschickt. Eins der beiden großen Hurtigruten-Schiffe, das war aber auch zu einfach.
Zwei Dinge will ich noch erledigen, zum einen das Quartier für die Wintertour 2018 mal von außen ansehen. Im nächsten Jahr will ich nämlich mit ein paar Kollegen hier wieder her kommen, für eine Woche Winteraction. Das Haus, in dem sich unsere Ferienwohnung befindet, liegt direkt hinter der Mack-Brauerei – nicht sehr schön – aber wenigstens zentral. Da werden wir wohl nicht mal einen Mietwagen brauchen. In 10 Minuten erreichen wir im Zentrum alles zu Fuß, und auch eine Bushaltestelle ist nicht weit. Das zweite Item auf meiner To-Do-Liste ist ein letzter Einkauf bei „Kiwi“, wo ich für meinen aus Norwegen stammenden Ex-Azubi Patrick eine Großpackung der Schokoladensorte „Walters Mandler“ besorgen will. Die haben wir nämlich im Vorfeld unserer Reise als Bezahlung für Paulas neues gebrauchtes Smartphone aus erster (seiner) Hand vereinbart. Nachdem auch das eledigt ist, können wir in die Ferienwohnung zurückkehren und schon mal anfangen, Koffer zu packen und unsere Bude aufzuräumen. Der Himmel ist bedeckt, da verpassen wir auch nichts.
MS ‚Trollfjord‘ im Hafen
Samstag, 4. März
Zeit für ein letztes Frühstück, bei dem wir alle Reste vertilgen. Unser Flug geht erst 14 Uhr, da haben wir noch reichlich Zeit fürs finale Aufräumen und Saubermachen der Wohnung. Kurz vor Mittag erscheint unser Vermieter Björn zur Übergabe des Mietwagens und bietet an, uns auf dem Weg zu seiner Arbeit zum Flughafen zu fahren. Toller Service. Das Gastgeschenk, eine Flasche Pfälzer Edelbrand aus dem Hause Anselmann Erben, hat er sich redlich verdient.
Wir sind recht früh am Airport. Eingecheckt haben wir bereits online, und die Baggage-Dropoff-Schalter haben noch nicht geöffnet, also suchen wir uns zwei ruhige Sitzplätze und warten. Zwischendurch gehe ich noch mal raus und knipse ein paar Fotos vor Ort. Irgendwann wird dann unser Flug auf der Abflugtafel angezeigt, wir gehen durch die Sicherheitskontrolle, und letzte Kronen werden im Reisebedarfs-Shop auf den Kopf gehauen. Wegen der notwendigen Enteisung startet die Maschine etwas verspätet, aber das macht uns nichts aus. Während in Nordnorwegen noch richtig tolles Winterwetter mit blauem Himmel und Sichten bis zum Anschlag vorherrscht, nehmen auf dem Weg nach Süden die Wolken zu. Der Flug wird etwas unruhiger, und über dem Skagerrak beginnen Turbulenzen, die wie üblich bis abeam Hamburg anhalten. In Frankfurt landen wir pünktlich, so daß unsere Abhol-Brigade, bestehend aus Melanie und Johannes, nicht allzu lange warten muß. Und während wir unsere Lieben in die Arme schließen, beginnt in meinem Kopf schön wieder die Vorfreude auf die nächste Winterreise nach Norwegen.
Blick auf die Stadt beim Abflug Runway 19

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