Abend am Tromsøysund

Montag, 16. Februar

Heute müssen wir unser kuscheliges Quartier leider schon wieder verlassen. Und abermals zeitig aufstehen, denn auch die heutige Hundeschlittentour beginnt schon kurz vor 10 Uhr. Anschließend sollten wir relativ zügig ins 250 Straßenkilometer entfernt gelegene Skjervøy fahren. Bei 70° nördlicher Breite, dem ‚höchstgelegenen‘ Punkt unserer Reise, wollen wir kurz nach 19 Uhr das Postschiff der Hurtigruten entern, das uns auf die wiederum 500 Kilometer weiter südlich liegenden Lofoten bringen wird. Ein kleiner „Von-hinten-durch-die-Brust-ins-Auge“-Kunstgriff, denn das Schiff hält auch in Tromsø. Aber das eben erst um kurz vor Mitternacht, und bis dahin müßten wir uns die Zeit in der Stadt um die Ohren schlagen, was zu dieser kalten Jahreszeit nicht unbedingt zu den angenehmsten Verrichtungen zählt. Außerdem würde ich gerne mal die Lyngen Alpen sehen, eine etwas nördlich von Tromsø gelegene Bergkette. Ähnlich wie die Lofoten, also zipfelig und sehr steil – aber doppelt so hoch und sehr beeindruckend. Touristisch noch nicht überlaufen, und damit ein interessantes Ziel für eine der kommenden Winterreisen in den hohen Norden Europas.
Glücklicherweise habe ich gestern schon die Koffer gepackt, so daß unser Abflug recht unhektisch vonstatten geht. Treffpunkt ist am Scandic Hotel in Hafennähe. Ich habe gestern Abend die Lage des Husky-Camps recherchiert und bitte die deutsche Tourleiterin um Individualanreise. Sie stimmt zu, und ich darf mit Jo alleine zur Basis fahren, um nach dem Ende der Tour ohne Zeitverlust direkt Richtung Skjervøy aufbrechen zu können. Nach den Erfahrungen von vorgestern würde ich nämlich gerne so lange wie möglich im Hellen fahren. Nach einer halben Stunde haben wir den Parkplatz der Huskyfarm erreicht. Da der Bus noch etwas auf sich warten läßt, nehmen wir schon einmal die Gehege der Schlittenhunde in Augenschein. Kurze Zeit später ist die Gruppe komplett und erhält eine kurze Einweisung. Heute braucht niemand unbedingt Overalls und Boots, weil wir 0°C haben und zudem die Sonne scheint. Aber im Gegensatz zu gestern ist hier bei Tromsø Villmarkssenter Massenabfertigung angesagt. Gar nicht schön!
Allein unsere Gruppe besteht aus ca. 20-30 Personen, und wir übernehmen die Schlitten samt Huskies von einer ebenso starken Mannschaft direkt bei deren Rückkehr zur Base, wobei es wie auf einem großen Bahnhof zugeht. So einen Rummel brauche ich so nicht noch mal und speichere die Company von gestern als Favorit im Gedächtnis. Die heutige Tour ist ähnlich lang, allerdings darf Jo aufgrund der strengeren AGBs und der etwas unentspannteren Guides nicht den Schlitten lenken. Macht aber nix, denn die Strecke wartet mit einigen heftigen Bodenwellen auf, und mein Sohn ist ganz froh, gut verstaut in seinem Schlitten zu sitzen. Nach der Rückkehr, wo übrigens bereits die nächste Hundertschaft Touristen auf die Übernahme der Gespanne wartet, können wir noch die Welpen-Station besichtigen. Johannes darf sogar einen der kleinen Huskies auf den Arm nehmen und hat wieder ein einprägsames Erlebnis abgefaßt.
Um Zeit zu sparen, verzichten wir auf das Mittagessen und brechen kurz nach eins Richtung Norden auf. Allerdings lassen wir die Lyngen Alpen heute im wahrsten Sinne des Wortes links liegen, statt mitten hinein zu fahren. Erstens war die einzige hindurch führende Straße in den vergangenen Tagen öfters wegen Lawinengefahr gesperrt, und auch die beiden Autofähren, die wir hätten benutzen müssen, glänzten in der letzten Zeit nicht gerade durch Zuverlässigkeit. Mal fuhren sie nicht wegen Wind bzw. Unwetter, mal wegen technischer Probleme gar nicht oder mit reduzierter Kapazität. Also entscheide ich mich für die sichere Variante außen um die Halbinsel Lyngen herum.
Wobei: was ist im Winter in Nordnorwegen schon sicher? Auch die E6 und die etwas kleinere Reichsstraße 866 waren in den vergangenen zwei Wochen immer mal wieder wegen Unwetter, starkem Schneefall und / oder notwendiger Tunnelbauarbeiten streckenweise gesperrt. Im Nachhinein wird sich meine Routen-Entscheidung noch als goldrichtig erweisen, denn exakt am heutigen Tag kommen zwei deutsche Skifahrer in einer Lawine am Fastdalstinden ums Leben. Dieser Berg liegt direkt an der Straße, die wir auf unserem Weg durch das Gebirge hätten nehmen müssen. Das werde ich Melanie mal lieber nicht erzählen 😉
Heute ist das Wetter traumhaft, meine Straßenzustands-App zeigt grünes Licht auf der gesamten Route, und wir kommen gut voran. Aber 240 Kilometer vereiste Landstraße im Winter sind eben kein Pappenstiel, und so sind wir beide froh, kurz vor 18 Uhr die Insel Skjervøy mit ihrem recht hübschen Hauptort und dem dazugehörigen Hafen erreicht zu haben. Ich vertreibe mir die Zeit bis zur Ankunft unseres Schiffes mit Fotografieren, während Johannes im Auto bleibt und sich die Finger bei WhatsApp wund tippt. Die MS „Midnatsol“ legt mit leichter Verspätung am Kai an, soll aber pünktlich wieder abfahren, so daß das Beladen sowie das Ein- und Aussteigen zügig vonstatten gehen müssen. Aber kein Problem: unser Auto wird uns von der Crew abgenommen und fachmännisch im Unterdeck eingeparkt, während wir schon mal unsere Koffer nehmen und bei der Rezeption einchecken können. Effizient möchte ich das nennen!
Das Gute am Job eines Fluglotsen ist unter anderem der Umstand, daß man sich auf Reisen gelegentlich das ein oder andere Extra leisten kann, ohne die Haushaltskasse komplett zu ruinieren. Und deshalb habe ich unsere Kabine auf eine Suite upgegradet, was Johannes bereits nach dem ersten Betreten derselben mit unaufhörlichen Begeisterungs-Bekundungen honoriert. Unsere Suite Nr. 818 ‚Hvitveis‘ – das heißt übersetzt Buschwindröschen – bietet viel Platz und einen eigenen Erker mit Panoramafenstern, die einen ungestörten Blick auf die vorbeiziehenden Landschaften ermöglichen. Gemütliche Sitzecke mit Minibar, großes Bad und daneben sogar ein Ankleidezimmer und schließlich ein bequemes Doppelbett. Obendrein gibt es als Begrüßung einen Korb mit frischem Obst. Wir sind begeistert. Nun ja, wenn wir unsere Mädels eine Woche auf AIDA-Tour mit Balkonkabine schicken können, dann werden wir uns diesen kleinen Luxus für eine Nacht an Bord erlauben dürfen.
Johannes ist überglücklich, als wir an der Rezeption den deutschen Reiseleiter Marco Voigtländer treffen – bekannt aus Funk, Fernsehen und vonne Butterfahrten. Wir haben in der letzten Zeit im Fernsehen einige Dokumentationen über die Hurtigruten gesehen, und Marco war immer mit von der Partie. Deshalb ist er für Johannes fast so etwas wie ein Filmstar und kann mit einem Autogramm nebst persönlicher Widmung auf einer seiner Visitenkarten mächtig Punkte sammeln.
Mein Sohn kann sein Glück kaum fassen: wir fahren mit dem schönsten Hurtigruten-Schiff, treffen einen Prominenten und essen schließlich einen Hamburger im Restaurant – der Tag könnte nicht besser laufen! Nach dem Schmaus und dem obligatorischen Besuch im Bordshop unternehmen wir einen kleinen Rundgang über die Decks und haben wieder Glück: gegen halb zehn können wir intensive Nordlichter direkt über dem Schiff beobachten. Großes Geraune und Gejohle auf dem Sonnendeck, über das man vor lauter Stativen kaum unfallfrei gehen kann. Um zehn und nach der Begegnung mit Jo’s Lieblingsschiff „Finnmarken“ steht noch ein Programmpunkt auf unserer Agenda, der durch Marcos Lautsprecheransagen schon mehrfach am Abend promoted wurde. Im großen Aussichtssalon auf Deck 7 soll noch eine Modenschau stattfinden, bei der – und das ist das Besondere – Crewmitglieder die Kleidungsstücke präsentieren. Am Anfang finde ich das Schauspiel ein klitzekleines bißchen unwürdig – eine stolze Hurtigruten-Crew (und besonders der Kapitän) sollte so einen Zirkus nicht machen müssen. Aber wenn sie mit den Provisionen an den verkauften Shop-Artikeln ihr, vermutlich mit selbst für norwegische Verhältnisse spitzem Bleistift berechnetes Gehalt etwas aufbessern können, sei es allen von Herzen gegönnt. Außerdem komme ich nicht umhin, verborgene Talente bei dem ein oder anderen Mannschaftsmitglied auszumachen. War z.B. die Chefin des Bordshops vorhin noch eher kühl und zurückhaltend, hat sie doch sichtlich Spaß auf dem improvisierten Laufsteg. Der Restaurantchef ist eine wahre Rampensau und kann seine mitlaufenden Kolleginnen und die Passagiere mitziehen und begeistern. Eine junge Dame von der Rezeption führt die Beweiskette für meine These fort, daß es auf der ganzen Welt keine einzige häßliche Frau mit dem Namen Stine gibt, und Marco schließlich moderiert die Show auf seine eigene lässige Art, die wir schon aus den Fernsehdokus kennen. Den Abschluß bildet ein Defilee aller Beteiligten zum Aprés-Ski-Hit mit dem Helikopter. Die Zuschauer applaudieren begeistert, und wir haben jetzt für den Rest des Urlaubs einen Ohrwurm. Angesichts der vorgerückten Stunde ziehen wir uns zurück in unsere Kabine, nehmen eine heiße Dusche und machen es uns im Bett gemütlich. Jetzt noch etwas lesen und dann bei offenen Vorhängen und dem Blick auf vorbeiziehende Landschaft einschlafen. Was für ein herrlicher Tag!

Hafen in Skjervøy

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