Wandern auf dem Kungsleden

Mittwoch, 5. März

Gegen 8 werde ich wach. Die innere Uhr funktioniert wie geschmiert, wenn man Kinder hat. Adrian geht es ähnlich. Schönes Wetter draußen. Das schreit nach einer Outdoor-Aktivität. Aber nichts geht ohne vernünftige Stärkung. Darum gehen wir gegen 9 erst mal alle rüber ins Haupthaus zum Frühstück. Der Vorschlag unseres Lappland-Kenners Herrn Schæpsson lautet: kleine Wandertour auf dem Kungsleden, der in Abisko beginnt. Immer entlang des Flusses, so weit die Füße tragen. Guter Plan.
Sachen gepackt, Proviant in den Rucksack, Fotoequipment an die Sherpas verteilt und los geht’s. Wir kommen gut voran. Nein. Wir kämen gut voran, wenn nicht immer wieder Dreharbeiten und Fotohalte unseren Lauf unterbrechen würden. Aber man muß halt Opfer für die Kunst bringen. Nach etwa 6 Kilometern erreichen wir eine Hängebrücke über den Nissonjåkka, einen der Zuflüsse des Abiskojåkka, an dessen Ufer wir heute ständig unterwegs sind. Kurz dahinter ist eine offizielle (überdachte) Rast- und Feuerstelle in die Landschaft eingelassen, aber die lassen wir links liegen und suchen uns einen Picknickplatz für echte Männer, direkt am Flußufer. Adrian hat auf dem Weg bereits einiges an Brennmaterial gesammelt und geschlagen, so daß nach kurzer Zeit ein gar lustig Feuerchen am Wasser lodert. Ich stelle die Kamera auf Zeitraffer-Aufnahme und setze mich dann zu den anderen dazu. Es gibt heißen Tee mit Aquavit, die restlichen Hefezöpfe und was wir sonst noch so in der Küche zusammengekehrt haben. Aber schon nach kurzer Zeit sind wir wieder beschäftigt. Während Lukas die GoPro für ein paar Unterwasseraufnahmen präpariert, kriechen Micha und ich auf dem Eis herum, um ein paar Makrofotos zu schießen bzw. – in Michas Fall – einen Weg zu finden, dem Eis destruktiv zu Leibe zu rücken. Ein großer Felsbrocken kommt gerade recht. Ein paarmal kräftig ausgeholt und fertig ist die neue Badestelle auf der Flußmitte. Top!
Auf dem Rückweg fällt irgendwann mal jemandem auf, daß Adrian und ich mit unseren leuchtend grünen bzw. roten Jacken aussehen wie die Ampelmännchen. An diese kurze Feststellung schließt sich folgerichtig eine halbstündige Fotosession an. Auch Lukas kriegt ein paar Poserfotos von sich geschossen, dann geht es aber endgültig wieder zurück zur Hütte. Wir wollen heute selbst kochen und müssen noch einkaufen. Der örtliche Coop-Markt ist recht gut sortiert, es gibt sogar Bier. Oder… Moment mal – Nein! Nur wieder die dünne Plørre. Aber ich gebe mich nicht so schnell geschlagen und setze die Suche fort. Muß doch irgendwo… Was ist das denn? Ich glaube es nicht: Staropramen! Tschechisches Bier. Das ist es! So, schnell mal die Flasche umgedreht und das rückwärtige Etikett studiert… Den unteren Teil kann ich schon nicht mehr klar erkennen, weil mir Tränen in die Augen schießen. Die haben doch tatsächlich das gute Pivo auf den ortsüblichen Alkoholgehalt von gerade mal 3,5% herunterverdünnt. Sakrileg!
Wir nehmen ein paar Sixpacks des lokalen “Norrlands Gull” mit, das wahrscheinlich “Nordlandgülle” heißt. So weit reichen meine Schwedischkenntnisse gerade noch. Passen würde es jedenfalls. Was brauchen wir noch? Spaghetti, Tomatensauce, Kjöttbullar und kleine Snacks für die Wanderungen. Daheim angekommen, kochen Adrian, Lukas und Micha schon mal das Essen, während ich am Rechner die Einzelaufnahmen der heutigen Zeitraffer-Sequenzen zusammensetze. Herr Schæpsson checkt beim Essen noch kurz die Polarlicht-Aktivität. Sieht spitze aus, vom Nordkap kommt ordentlich Himmelsfeuer heruntergewirbelt. Heißt für uns: hastiger Aufbruch, und heute nicht den ganzen Weg zum See runter gelaufen – sonst verpassen wir am Ende noch was. Wir kämpfen uns im Dunkeln durch einen vereisten Pfad hin zu der Stelle, die ich im letzten Jahr mit Kathrin entdeckt und für gut befunden habe. Hier oben kommt kaum jemand her, sie liegt einigermaßen windgeschützt, und auch Streulicht der Straße reicht nicht bis hier hin. Aber das Beste ist – wie Lukas, der alte Militarist, bemerkt – daß man von hier oben im Bedarfsfall den Ho-Chi-Minh-Pfad, auf dem sich die ganzen Fotografen zum See runter bewegen, unter Artilleriefeuer nehmen könnte, um mögliche Konkurrenten im Kampf um das beste Nordlichtfoto nachdrücklich zum Aufgeben zu bewegen. Ich habe jedoch schon in der Station wieder viel Nikon-Krempel gesehen und winke ab. Das gibt eh nix. Mörser und Granaten bleiben heute unangetastet. Irgendwann im Laufe des Abends gelingt uns – eher aus Versehen – ein wirklich brauchbares Gruppenfoto bei einer der Langzeitbelichtungen. Kurz vor Mitternacht bricht dann auch die letzte Aurora in sich zusammen, und wir gehen heim in unsere kuschelige Hütte. Bilder aussortieren, Feierabendbier, Gute Nacht.

Nordlichter über dem Torneträsk

Donnerstag, 6. März

Da der Wetterbericht für heute Vormittag noch mal Sonnenschein angekündigt hat, wollen Lukas, Micha und ich die Gelegenheit zu einer kleinen Skitour nutzen. Adrian möchte lieber seine extra mitgeschleppten Schneeschuhe zum Einsatz bringen und geht darum alleine ins Gelände. Unser Equipment können wir im Shop der Station ausleihen. Die Preise sind echt abgehoben: vor zwei Jahren habe ich mit Dirk pro Paar Skier 15 Euro für einen halben Tag gezahlt, heute sind es 55 für einen ganzen. Ich bin ja nicht der Meister im Kopfrechnen, aber das ist fast doppelt so viel – Respekt! Da muß es ja tolle Ausrüstung für geben. Wir sind gespannt, müssen allerdings zunächst erst einmal warten. Denn an der Kasse steht Ruben. Ruben hat Zeit. Viel Zeit. Richtig viel. Das liegt daran, daß sie für ihn deutlich schneller vergeht als für alle Menschen um ihn herum. Wenn man in seine trüben Augen schaut, weiß man auch sofort den Grund: hier sind Drogen im Spiel. Keine Frage. Wir haben noch nie jemanden erlebt, der hinter einer Bedientheke so dermaßen fehl am Platze war wie Ruben. Der kleine Laden füllt sich, weil die Abfertigung an der Kasse in Zeitlupe abläuft. Aber wir haben Glück: eine Kollegin eilt Ruben zu Hilfe und übernimmt unseren Ausleihe-Job.
Ruck-zuck haben wir plötzlich unseren Kram zusammen: Stöcke, Schuhe und natürlich die Bretter. Das gleiche Zeug wie vor 2 Jahren. Ziemlich abgeranzt und noch dazu in einer Musterung, die Lukas veranlaßt, unsere Ski ab sofort nur noch verächtlich als “Gay-Latten” zu bezeichnen. Nun ja, gleiten sollen sie – sehen tut uns hier oben in der Pampa sowieso niemand. Also die Dinger angeschnallt, Rucksack mit Fotoausrüstung und Proviant auf den Rücken und los geht’s. Den 10 Kilometer langen Rundkurs wollen wir laufen. Laut Aussage unserer kleinen schwedischen Retterin sind die Loipen am Ostufer des Abiskojåkka ziemlich vereist und nicht ganz ohne, aber wir probieren es trotzdem. Es geht ohnehin erst einmal kilometerweit nur bergauf. Das strengt ganz schön an, zumal man gelegentlich auch die Latten abschnallen muß, weil ein steiler und vereister Anstieg besser zu Fuß zu bewältigen ist. Nach einer Stunde haben wir einen Punkt mit ziemlich guter Aussicht erreicht. Ab hier geht es dann nur noch leicht bergan, durch Birkenwald, immer parallel zum Fluß. Unterwegs knipsen wir die historischen Fotos, da Lukas und Micha Klamotten anhaben, die man zu Recht als zeitlos bezeichnen kann. Kurz darauf treffen wir auf den entscheidenden Wegweiser, der aus dem One-way-Track einen Rundkurs werden läßt. Und ab hier geht es immer sanft bergab. Mehr oder weniger. Mitunter sind schon ein paar steile Stellen darunter, die auch ihren Tribut fordern – aber niemand verletzt sich ernsthaft. Und die bombastische Aussicht auf die Berge von Lapporten entschädigt für die Anstrengungen des Aufstieges. Wieder unten im Tal angekommen, überqueren wir den vereisten Fluß an der Stelle, wo wir gestern unser Lagerfeuer entfacht hatten. Ab jetzt können wir dem gut markierten Winterweg zurück Richtung Abisko folgen. Lediglich die letzten paar Kilometer auf dem verharschten Schneepfad des Kungsleden sind dann wieder etwas anstrengender. Aber das Ziel liegt ja schon unmittelbar voraus…
Wieder in unserer Hütte angekommen, gibt es noch einen kleinen Snack und dann erst mal eine wohlverdiente Runde Siesta. Heute Abend steht noch etwas Wellness auf dem Programm: wir haben die Saunahütte am See gemietet und wollen dort ein paar Stunden entspannen. Genau das Richtige nach zwei Tagen mit straffem Lauftraining. Kurz vor 17 Uhr erscheinen wir an der “Bastua”, wo schon der Ofen ordentlich bollert. Gut so, denn draußen beginnt es bereits zu dämmern. Wind kommt auf, und erste Regentropfen fallen aus den tiefhängenden Wolken. Wir machen es uns mit ein paar Bier gemütlich und rennen nach dem ersten kurzen Saunagang halbnackt zum Abkühlen runter zum Eisloch im See. Knusprig kühl, das Wasser! Ein paar Brunftschreie helfen gegen den Kälteschock. Nur kurz Abtauchen, dann schnell wieder das Handtuch umgebunden und hastig zurück zur Schwitzhütte, denn der Regen piekst wie feine Nadelstiche auf der Haut. Ein paar Stunden und einige Saunagänge später sind wir gereinigt und entspannt. Das tat gut! Das würde ich bei den nächsten Wintertouren sicher wieder buchen.
Einziger Wermutstropfen heute Abend: viele Wolken und daher kein Nordlicht. Aber wir haben an den vergangenen Tagen schon viele tolle Auroren gesehen und sind deshalb nicht enttäuscht. Nach dem Saunieren ist man eh immer ziemlich platt, und die paar Bierchen zwischen den Saunagängen tun ihr Übriges. Darum zieht es uns allen heute relativ zeitig die Augen zu. Morgen ist auch noch ein Tag. Der letzte komplette Reisetag – mal sehen, was geht.

Eisloch an der Saunahütte in Abisko

älter Lofoten im Winter fotografieren
neuer Wintertour 2014: Kurzfilm

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