
Brücken zwischen Flakstadøya und Moskenesøya bei Fredvang
Sonntag, 2. März
Nachdem wir gestern schon einen Abstecher in Richtung Südwesten unternommen haben, ist es heute Zeit für die etwas größere Touri-Runde. Gemeint ist natürlich die klassische Inselrundfahrt über Flakstadøya und Moskenesøya mit ihren vielen bekannten Bilderbuch-Ansichten.
Wir halten zunächst noch einmal auf der Höhe des Storfjordvatnet, weil beim gestrigen Actionvideo-Dreh der Akku der am Auto befestigten GoPro-Kamera leider noch vor dem ersten Take seinen Geist aufgegeben hatte. So viel zur gründlichen Vorbereitung. Aber heute klappt alles, und die Szene “Arctic Race 24/7, die vierzigste” ist endlich im Kasten. Am Ostufer des Sees treffen wir auf ein älteres Paar aus den Niederlanden, die sich vom recht rasanten Anflug unseres polnischen Fahrers auf ihren Standort wohl etwas provoziert fühlen. Aber seine Exzellenz, Chefdiplomat Lukas Richard Bartholomaeusz Gorski III., kann dank geschickt gestreuter Lobhudeleien auf unser westliches Nachbarland die aufbrandenden Wogen psychischer Erregung schnell wieder glätten. Micha und mir fällt sofort die opulente fototechnische Ausstattung des Duos ins Auge: Canon EOS 1 irgendwas, das neue 24-70/2.8 II und vor allem eine große weiße 600er Tüte, die ob ihrer Ausmaße bereits ab Werk mit eigenem Sherpa ausgeliefert wird – da schauen wir mal genauer hin. Für den Kram gibt’s daheim in Deutschland schon einen VW Polo mit Vollausstattung. Die beiden Holländer werden uns im Laufe der Reise noch mehrmals über den Weg laufen.
Erst einmal fahren wir jetzt aber weiter nach Nusfjord. Seit 1975 Weltkulturerbe der UNESCO und seit 2011 gebührenpflichtig. Allerdings nur im Sommer, wenn hier massenweise Touristen per Bus hin gekarrt werden. Im Winter hat man den knuffigen Ort meistens für sich alleine. Heute immerhin fast, denn außer uns sind noch ein paar der üblichen japanischen Weihnachtsbäume unterwegs. Warum die Weihnachtsbäume heißen? Man stelle sich einen kleinen asiatischen Menschen vor und versuche nun, an diesen so viel Fotoequipment – aber bitte nur vom Feinsten – dranzuhängen, bis er von alleine umfällt. Kurz vor dem Kippmoment sieht er aus wie ein mit Kugeln und Lametta geschmückter Christbaum. Ich sollte auf der nächsten Reise einfach nur diese Truppenteile fotografieren. Da käme sicher ein skurriler Bildband heraus.
Ich filme heute und darf mir darum immer mal wieder hämische Bemerkungen von Micha anhören, wenn ich zu einem dieser obligatorischen Urlaubsschwenks ansetze. Extra deswegen wird ab jetzt den gesamten Tag lang geschwenkt und gedreht, bis mir schwindelig wird und die Leute beim Anschauen unseres Reisefilmchens auf großem Fernseher nach der Spucktüte verlangen. Irgendwann ist auch Nusfjord motivtechnisch ausgelutscht, und wir begeben uns auf die Weiterfahrt. Nächster Stop ist Hamnøy, perfekte Nachmittagssonne macht das Knipsen zum Vergnügen. Für Reine sind wir ein paar Minuten zu spät, da der Ort wegen des hohen Berges auf seiner Südwestseite bereits wieder im Schatten liegt. Hier gibt es gerade nicht viel für uns zu holen. Also noch 10 Kilometer weiter bis Å gefahren, dort einmal angetippt und wieder zurück nach Reine. Hier stehen die typischen roten Rorbuer in solch einer Konzentration herum, daß es eigentlich ein paar brauchbare Motive geben sollte. Micha wird fündig, Lukas probiert das Teleobjektiv aus und ich halte ein Schwätzchen mit dem aktuellen Pächter der Hüttenanlage. Hat mal wieder gewechselt, das exzellente Restaurant “Gammelbua” ist auch noch bis Mai geschlossen. Na toll! Die Fülle schlechter Nachrichten wird kompensiert durch den Hinweis, daß das schwedische Paar, das vorher den Betrieb gepachtet hatte, Ende dieses Jahres ein eigenes Lokal direkt gegenüber eröffnen will. Das höre ich gerne, denn diese beiden waren sehr kreative Köche und sind mir mit ihren eigenwillig kombinierten Gerichten aus überwiegend lokalen Ingredienzen in angenehmer Erinnerung geblieben.
Heute statten wir dem “Blomster”-Café einen Besuch ab und werden nicht enttäuscht. Wenn irgendwo auf der Welt eine Bäckerin im Tine-Wittler-Format einen Laden führt, muß man da mal probieren. Die sollte es drauf haben. Wir wärmen uns bei Kuchen und Kaffee auf und treten eine halbe Stunde später gut gestärkt die Heimreise an. In Skagsanden auf Flakstadøya wird noch einmal ein Foto- und Filmhalt eingelegt – wo gut und gerne 10 Fotografen “rummachen”, muß es doch was zu sehen geben. Ein kurzes “Goedendag!” und “Konnichiwa!” an die Runde – wieder mal sind wir auf alte Bekannte getroffen.
An diesem gut erreichbaren Strand ist immer etwas los. Vormittags waren hier noch Surfer unterwegs, jetzt sind es die Fotografen. Auch wenn mir nicht immer ganz klar ist, was die hier eigentlich knipsen. Es gibt ein paar lustig blubbernde Wasserlöcher im Sand, die mich entfernt an Mini-Ausgaben isländischer Geysire erinnern. Am westlichen Rand fließt ein fotogener Bach ins Meer, im Osten liegen große Felsbrocken herum, die tolle Blickfänger abgeben, aber gerade unsere schlitzäugigen Freunde laufen komplett woanders rum. Was fotografieren die bloß? Bevor wir uns bei der Suche nach der Antwort auf diese elementare Frage unseres Seins den Kopf zerbrechen, nehmen wir das Heft des Handelns wieder in die Hände und drehen eine lässige Action-Sequenz für unsere Reisedoku. Lukas hat schon seit einiger Zeit einen Narren an Michas Stativ gefressen und benutzt das nun als – Zitat – “geile Wumme”, mit der er in einer großartigen schauspielerischen Einzelleistung die Landung polnischer Gebirgsjäger an der Küste bei Narvik im Frühjahr 1940 nachstellt. Ich bin begeistert, so daß wir die Szene gleich mehrfach filmen.
Fischerboot im Austnesfjord
Montag, 3. März
Bevor wir morgen leider schon wieder Abschied nehmen müssen, wollen wir heute noch einmal eine kleine Wanderung unternehmen. Das Gute an diesem ungewöhnlich milden Winter ist der Umstand, daß aufgrund der geringen Niederschläge in dieser Jahreszeit Touren möglich sind, die man sonst nur im Sommer gehen könnte. Eine solche werden wir heute in Angriff nehmen. Matmora – seit 2008 auf meiner Wunschliste. Großer Pluspunkt: Die Strecke liegt in einem der schönsten Teile der Lofoten, der Nordostseite der Insel Austvågøya. Hier findet man sie noch, die Ruhe abseits der belebten Touristenstraße E10, denn hierher verirren sich nur selten Urlauber.
Anne Gerd wartet bereits am Startpunkt auf uns, denn sie hat heute morgen Johannes zum Flughafen nach Svolvær gebracht und sich anschließend eine Mütze voll Schlaf in ihrem Wagen gegönnt. Wir verstauen Fotoausrüstung und Proviant in unseren Rucksäcken, und dann geht’s los. Der Weg wartet im unteren Teil mit einigen großen Eisflächen auf, die unfallfrei überwunden werden wollen, bevor sich der Track am Berghang entlang im Zickzack nach oben schlängelt. Wir hatten leichte Minusgrade in der vergangenen Nacht, so daß der Pfad hartgefroren ist und sich gut erklettern läßt. Alle fünfzig Höhenmeter wartet irgendein Felsvorsprung mit herrlicher Aussicht auf uns. Wir fotografieren und genießen den atemberaubenden Ausblick auf das Nordmeer und die Vesterålen. Nach etwa zwei Dritteln des Aufstieges zum Gipfelplateau verschlechtert sich plötzlich dramatisch die Beschaffenheit des Weges. Eis und verharschter Schnee machen den Pfad nahezu unpassierbar. Wir kämpfen uns noch einige Höhenmeter weiter, durch Birkenunterholz an den größten Eisflächen vorbei, aber irgendwann brechen wir den Aufstieg aus Sicherheitsgründen ab, nachdem selbst unsere norwegische Führerin mit ihren Steigeisen kaum noch Halt findet. Schade drum, aber wir wollen nichts erzwingen. Better safe than sorry.
Wir kehren um und steigen hinab zum nächsttieferen Felsplateau mit Aussicht und Sonne. Wenn wie heute kein Wind weht, kann man hier sogar nur im T-Shirt sitzen. Die mitgebrachten Leckereien werden aufgeteilt und verspeist. Lediglich Lukas’ selbst geschmiertes Eibrötchen findet keine echten Fans. Ob das wohl an dem Eßlöffel Salz liegt, der sich darin verbirgt? Noch etwas fällt auf: mein Kollege aka Zbigniew Popolski scheint ein Faible für Stromleitungen aller Art zu haben. Ständig fotografiert er welche, oder schaut ihnen auf den Autofahrten verträumt hinterher. Micha und ich machen schon unsere Witze.
Wieder unten am Ausgangspunkt der Tour überlegen wir, wie’s weiter geht. Wir entscheiden uns für einen Abstecher zum Holzpavillon in Grunnfør, der seit Neuestem auch noch von einer Strandbar aus Strandgut (wie passend) ein skurriles Ensemble bildet. Anne Gerd, Lukas und ich nehmen die neue Chill-out-Location erst einmal näher in Augenschein. Alles da, was man für gepflegtes Abhängen am Nordmeer braucht: Grill (reicht auch für große Tiere am Stück), Getränke (alkoholfrei, Kasse des Vertrauens), Mucke (in Form von Gitarre und Tamburin), Lesestoff (falls man wegen schlechten Wetters mal ein paar Tage nicht weg kommt) und sogar Wolldecken (für eine mögliche Überwinterung) finden sich hier. Nicht übel. Wir stöbern ein wenig in der Hütte herum, während sich Micha am Glashaus mit seinem Weitwinkel-Objektiv nach Herzenslust austoben kann. Danach folgen noch einige gestellte Fotos im Inneren des Pavillons, die eigentlich ganz gut geworden sind. Mittlerweile ist es Nachmittag. Anne Gerd nimmt nun den direkten Weg zurück nach Hause, während wir die Umrundung der Insel Austvågøya komplettieren. Unterwegs gibt es tolle Motive durch Spiegelungen der heutigen Stratocumulus-Bewölkung im Austnesfjord zu bestaunen. Wir schaffen schließlich noch einen Abstecher nach Henningsvær, das wir bei goldenem Licht erreichen. Besser kann’s nicht laufen. Wir schießen ein paar Fotos am Leuchtturm, bevor die Sonne über den westlichen Inseln der Lofoten im Meer versinkt.
So, jetzt aber schnell zurück, denn wir wollen heute für unsere Gastgeberin kochen und müssen dazu in Leknes noch ein paar Zutaten besorgen. Es gibt Schweinelende mit Kartoffelpüree, Rotwein-Sahnesauce (extra strong, ich sage nur: ergibt 4 Liter!) und Gurkensalat. Dazu ein kühles Bierchenchen – fertig ist der deutsche Abend. Inklusive Gemütlichkeit. Anne Gerd ist begeistert. Und so endet denn auch unser letzter kompletter Reisetag auf den Lofoten.
am Hafen in Hovsund, keine Fotomontage, nur extremes Weitwinkel
Dienstag, 4. März
Wir verlassen heute die Lofoten und nehmen Kurs aufs Festland, genauer gesagt auf Abisko im schwedischen Teil Lapplands. Unterwegs werden wir in Evenes noch unseren Kollegen Adrian einsammeln, der uns bis Samstag begleiten will. Bis seine Maschine jedoch landet, haben wir noch jede Menge Zeit, um ein paar letzte schöne Ecken auf den Inseln zu besuchen.
Einen der Top Spots und unter anderem Favorit meiner Kinder haben wir noch gar nicht besucht. Dabei liegt er nur fünfzehn Autominuten von Anne Gerds Haus entfernt – der Strand Haukland. Wenn die schroffen Berge an seinen Flanken nicht wären, könnte man hier meinen, irgendwo in der Südsee zu sein: türkisblaues, kristallklares Wasser und ein breiter weißer Strand. Bis man dann baden geht. Dann kommt der große Aufschrei. Selbst die Locals gehen – abgesehen vielleicht von einigen richtig warmen Hochsommertagen – hier nur in Neoprenanzügen schwimmen. Wir befinden uns immerhin 200 km nördlich des Polarkreises.
Direkt nebenan und nur durch einen Tunnel getrennt liegt einer meiner Lieblingsorte der Lofoten, Uttakleiv. Eingerahmt von Zipfelbergen liegt dieser Strand an der Außenseite der Insel Vestvågøya. Meine Kinder haben ihn zu ihrem Top Strand erkoren, weil seine Felsen und die unzähligen großen runden Steine zum Herumklettern und Springen einladen. Darüber hinaus geben sie tolle Fotomotive ab. Allerdings erst ab dem Nachmittag, denn bis dahin liegt Uttakleiv im Schatten des Mannen, des Berges, auf den wir am ersten Tag gewandert sind. Heute ist hier leider nichts zu holen. Wir fahren deshalb weiter, denn eine Insel fehlt uns noch auf der Liste: Gimsøya, die kleinste der Lofoten und die unberührteste dazu. Auch hierher verirren sich nur wenige Reisende, trotz des als touristischen Highlights vermarkteten Golfplatzes in Hov, dem einzigen der Lofoten. Wenn die Pläne aufgehen, werden in Zukunft viel mehr Leute diese Insel zu Gesicht bekommen – wenn auch nur kurz. Hier soll einmal der neue Flughafen der Lofoten entstehen. Ein Projekt, das vor allem durch Bjørn Kjos, den CEO der Fluggesellschaft Norwegian, seit ein paar Jahren enorm forciert wird. Immer noch finden Windmessungen durch die norwegische Luftaufsichtsbehörde statt, um die Möglichkeiten der späteren Landebahnausrichtung zu prüfen. Ich bin sehr gespannt, wie sich das Ganze entwickeln wird.
Heute jedoch ist alles noch verschlafen. Wir besuchen Hovsund, mit seiner langen Mole und dem am Ende aufgesteckten kleinen Leuchtturm eines meiner Lieblingsmotive der Lofoten. Micha bemerkt wieder einmal sehr passend, daß sich meine fotografische Begeisterung vorwiegend auf “weißes Haus vor’m Berg” zu beschränken scheint, was ich in diesem Fall nicht abstreiten kann. Heute liegt hier ein neues Detail herum. Vor nicht allzu langer Zeit ist an der Küste ein Wal gestrandet und noch sehr gut erhalten. Das lockt sofort Michas Forscherdrang, und er läßt sich in Großwildjäger-Pose auf dem “erlegten” Tier ablichten.
Auf dem weiteren Weg halten wir noch einmal kurz in Svolvær und schauen uns ein wenig am Hafen um. Schade, daß wir diesen Teil der Insel bisher ausgelassen haben. Aber man kann halt nicht alle tollen Ecken in drei volle Tage packen. Weiter geht es auf der E10 in Richtung Flughafen Harstad/Narvik. Adrian kommt pünktlich aus der Abendmaschine der SAS. Er durfte mal wieder im Cockpit mitfliegen und ist dementsprechend blendend gelaunt. Den Koffer im Auto verstaut und schon fahren wir wieder los.
Dank unseres Allrandantriebs ist die Passage des schnee- und eisbedeckten Bjørnfjells zwischen Narvik und der Riksgränsen kein Problem. Abisko liegt zum Greifen nahe. Wir entscheiden uns wegen der vorgerückten Stunde, erst einmal in den Pub zu gehen und dort etwas zum Abend zu essen. Bislang haben wir keine Vorräte eingekauft und wissen nicht, ob wir sonst hier etwas zum Futtern zu kriegen. Ein Burger (so lala) mit Pommes (sehr gut) und (richtigem) Bier für 20 Euro – nicht gerade billig, aber für diese geographische Lage ganz okay. Wir beziehen frisch gestärkt unsere Hütte auf dem Gelände der Fjellstation. Schön mollig warm ist sie jedenfalls, ansonsten grüßt der rustikale Charme der frühen Siebziger. Jetzt schnell die Betten bezogen, Polarlicht-Vorhersage gecheckt (sieht gut aus) und dann mit dem ganzen fotografischen Gerödel und schön dick eingepackt runter zum See. Heute sind wieder einige Leute hier versammelt, denn der Himmel ist sternenklar. Und wir müssen auch nicht lange auf die erste Lightshow warten. Auroren der Stärke 5-6 bescheren mir die erste erfolgreiche Zeitrafferaufnahme für unseren Urlaubsfilm. Das nenne ich mal einen gelungenen Auftakt dieses zweiten Reiseteils.
erste Nordlichter über dem Torneträsk

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