Strand im Ramberg, Flakstadøya

Nachdem ich in den vergangen Jahren schon mit einzelnen ausgesuchten Kolleginnen und Kollegen im Winter in den hohen Norden Europas geflogen bin, begleiten mich dieses Mal gleich drei Leute. Mit meinem Kollegen Lukas fliege ich zunächst zu zweit auf die Lofoten. Dort stößt dann einen Tag später mein Kumpel Micha dazu. Einige Tage drauf, für den zweiten Teil der Tour, in Abisko im schwedischen Teil Lapplands, hat sich Kollege Adrian angemeldet. Diese Truppe verspricht eine sehr lustige Reise, auf die ich mich schon wie Bolle freue.

Donnerstag, 27. Februar

Zeitig aufstehen ist nicht mein Ding. Aber wer sich wie wir eine bestimmte Anreiseroute zu den Lofoten in den Kopf gesetzt hat, muß eben auch Opfer bringen. Also schalte ich den Wecker um 3 Uhr aus, um eine halbe Stunde später aufzubrechen und Lukas abzuholen. Kurz nach halb sechs treffen wir am Frankfurter Flughafen ein: Auto parken, und dann durch die Sicherheitskontrolle. Kaum eine Handvoll Reisende sind um diese Zeit hier, und so ist denn auch das Security-Personal recht entspannt und geradezu unheimlich freundlich. Allerdings wird dann an der Schleuse doch mein mühevoll gepackter Rucksack seziert, weil die Alu-Röhren meiner Glidecam auf dem Röntgen-Foto wie eine Gatling-Gun aussehen. Jetzt noch schnell etwas zum Frühstück eingeworfen, und dann heißt es auch schon „Boarding“.
Wir verschlafen einen großen Teil des traumhaft ruhigen Fluges nach Oslo, wo derzeit wie wild gebaut wird. Bis 2017 soll hier ein dritter Pier entstehen, der die Kapazität des Flughafens deutlich nach oben schrauben könnte. Wieder mal darf ich am obligatorischen Security-Check meinen Rucksack auspacken. Aber schon nach kurzem Aufenthalt geht es weiter nach Bodø. Ein gerade mal anderthalbstündiger Flug bringt uns in die Hauptstadt der Region Nordland. Kurz vor dem Aufsetzen können wir rechts unter uns das Hurtigrutenschiff „Polarlys“ ausmachen, das uns später auf die Lofoten hinüber bringen soll. Nach der Landung haben wir noch reichlich Zeit, um ein paar erste Filmaufnahmen zu machen. Nicht daß Bodø besonders reizvoll wäre – es ist eine eher funktionelle Stadt – aber ein paar Clips will ich noch vor der Abfahrt gedreht haben. Nach kurzem Fußmarsch zum Hafen checken wir auf dem Schiff ein, packen unsere Koffer in den Gepäckraum und gehen erst mal hoch ins Restaurant. Was wir jetzt brauchen, sind ein Burger und ein Bier.
Pünktlich um 15 Uhr legt das Schiff ab und nimmt Kurs auf den Westfjord und die dahinter liegenden Lofoten. Wir nehmen auf dem geschützten Aussichtsdeck am Heck des Schiffes Platz, weil jetzt auch die Sonne unter den Wolken durchgetaucht kommt und die Landschaft in warmes Abendlicht taucht. Nur wärmen kann sie nicht mehr, und so sitzen wir richtig dick eingepackt im Liegestuhl und genießen den Anblick des hinter uns kleiner werdenden Festlandes. Draußen auf dem Vestfjord kommt ordentlich Dünung von der Seite, so daß das Schiff ein wenig ins Rollen gerät – aber mit ein paar Schlucken aus dem Flachmann läßt sich das gut aushalten. Die Sonne verschwindet derweil unter dem Horizont, und da es jetzt außer viel Wasser eine Zeitlang nichts zu sehen geben wird, verziehen wir uns in den Salon. Lukas macht ein Nickerchen, und ich stöbere im Hurtigruten-Bordmagazin nach Fotos von mir. Und tatsächlich: Ein Bild von 2008, das die MS „Lofoten“ bei der mitternächtlichen Raftsund-Passage zeigt, hat es auf eine halbe Seite geschafft. Ich bin stolz wie Bolle.
Gegen 19 Uhr erreichen wir Stamsund, wo uns unsere norwegische Gastmama Anne Gerd direkt am Kai abholt. Noch kurz warten auf zwei andere Passagiere, und dann geht’s ins Gästehaus. Außer mir sind noch zwei weitere Hobbyfotografen anwesend, da ist der Gesprächsstoff gesichert. Die Gastgeberin hat zur Feier des Tages für alle gekocht: Dorsch mit Ofenkartoffeln, karamelisierten Rosmarin-Möhren und Sahnesauce. Na, läuft doch! Lukas und ich fahren nach dem Diner noch mal nach Leknes in den Supermarkt, weil wir Marschverpflegung (für morgen) und noch ein paar Feierabendbiere (für heute) kaufen wollen. Der erste Teil ist kein Problem, allerdings wird uns von Chefkassierer Ola Norgensen an der Kasse das ohnehin auf homöopathischen Alkoholgehalt verdünnte Bier auch noch direkt wieder abgenommen. Gerade bin ich noch so am Überlegen, was „Ey hömma, Spozzfreund“ auf norwegisch heißt, da kommt auch schon die Erklärung: abends um 8 – zu spät dagewesen! Selbst das Biersurrogat darf wochentags nur bis 18 Uhr verkauft werden, an Samstagen gar nur bis 16 Uhr. Ein spontanes Besäufnis am Wochenende ist demnach hier oben nicht drin. Wir fahren getränketechnisch unverrichteter Dinge zurück ins Gästehaus und setzen uns wieder zu den anderen dazu, die inzwischen überaus gründlich und präzise – wie seinerzeit der deutsche Generalstab den Angriff auf Polen – die morgigen Fototouren quasi auf der großen Weltkarte vorausplanen. Naja, das ist nicht so mein Style, bei mir müssen die Bilder eher so nebenbei mit abfallen. Stundenlang irgendwo herumstehen und auf einen bestimmten Sonnenstand warten, geht – gerade mit fotografisch unambitionierten Begleitern – einfach nicht. Und schließlich gehen bei mir irgendwann gegen Mitternacht die Lichter aus. Ich verziehe mich in mein Zimmer. Noch eine Nachricht auf dem Handy: was kann das sein? Kollege Adrian mit dem Hinweis, daß heute Nacht wieder starke Auroren zu sehen sein sollen. Also Klamotten wieder an und raus in den Garten, wo ich noch ein Foto vom Gästehaus schießen kann. Leider wird das gut sichtbare Nordlicht durch Wolken verdeckt. Und so endet die Fotosession bereits nach einer halben Stunde mangels verwertbarer Lichteffekte am Nachthimmel.

schwache Aurora über Anne Gerd’s B&B

Freitag, 28. Februar

Heute kommt ein weiteres Mitglied unserer Reisegruppe in Norwegen an – mein bester Kumpel Micha, den wir am Abend am Flughafen in Evenes abholen wollen. Aber bis dahin haben Lukas und ich noch ein paar Stunden Zeit, die Lofoten im Winter zu erkunden. Unsere Gastmama Anne Gerd hat sich vor einiger Zeit einem lokalen Wanderverein angeschlossen. Einer ihrer Freunde begleitet uns auf einer kurzen Tour auf den zwischen den Stränden Haukland und Uttakleiv gelegenen Berg Mannen, von dem aus man einen herrlichen Rundblick auf die Insel Vestvågøya haben muß. Eine kurze, aber recht steile Wanderung bringt uns bis fast zum Gipfel – fast, denn auf den letzten 50 Metern wird der schmale Grat durch große Eisflächen unpassierbar. Jedenfalls ohne Steigeisen, weswegen wir Jungs uns eine Felskante als Rastplatz aussuchen, während die Wikinger auch noch das letzte Stück des Weges weiter gehen. Die Aussicht ist auch von unserem Sitzplatz grandios. Das sollte man im Sommer zur Mitternachtssonne mal ausprobieren. Eine halbe Stunde später sind Anne Gerd und Svein-Tore wieder bei uns angelangt, und wir treten den Rückweg an. Wieder unten am Strand verabschieden wir uns und fahren mit einem geliehenen Auto zum Flughafen, wo wir unseren eigentlichen Mietwagen  und meinen Freund Micha abholen wollen.
Der wartet schon in der Ankunftshalle auf uns. Schnell die Formalitäten erledigt, und dann wieder 230 Kilometer zurück nach Stamsund gefahren. Unterwegs entdeckt Micha etwas, das für ihn wie grünlich schimmernde Wolken aussieht. Wenn das mal keine Polarlichter sind. Also stellen wir an der nächstmöglichen dunklen Stelle das Auto ab und schauen in den nächtlichen Himmel – und tatsächlich: die ersten Auroren der diesjährigen Tour ziehen über uns hinweg. Nach ein paar Minuten endet die Show schon wieder, und wir setzen unsere Fahrt fort. Kurz nach der Raftsundbrücke wird dann der nächste „Lichterhalt“ notwendig. Und schließlich erleben wir kurz vor Svolvær die stärksten Nordlichter der ganzen Reise – so gut sichtbar, daß sie fast schon so deutlich wie auf Fotos auszumachen sind. Heute jedoch will ich das Schauspiel einfach mal nur genießen und lasse darum die Kamera im Auto. Nach etwa 10 Minuten Lightshow mit gefühlter Stärke 9 (von 10) geht die Reise weiter. Im B&B angekommen, erwartet uns noch ein kleiner Snack zum Abendessen, den wir von einer Flasche Rotwein begleiten lassen. Und somit endet dieser erste vollständige Reisetag.

Nordlichter im Sørdalen, Hinnøya

Samstag, 1. März

Da sich ihre Tochter mitsamt den Enkelkindern derzeit auf dem Festland aufhält, hat Anne Gerd viel Zeit, die sie mit uns verbringen kann. Der Plan für heute: am Morgen ein wenig Sightseeing und mittags dann Treffen auf der Insel Moskenesøya zur Kvalvika-Rundwanderung. Lukas, Micha und ich halten auf unserem Weg dorthin an diversen Fotospots auf der zweitkleinsten Lofoteninsel Flakstadøya. Insbesondere der Storfjordvatnet und der nahegelegene Berg Stjerntind sind im Winter ein sehr ergiebiges Fotomotiv. Bis Nusfjord schaffen wir es heute nicht mehr, aber an der Kirche in Flakstad und am Strand von Ramberg legen wir doch noch zwei kurze Stops zum Knipsen ein. Ziemlich windig ist es heute, nichtsdestotrotz sind eine ganze Reihe Fotografen in Ramberg versammelt, um darauf zu warten, daß die tiefstehende Wintersonne um den Stjerntinden herumgeflogen kommt und den Strand in weiches Nachmittagslicht taucht. Aber soviel Zeit haben wir heute nicht und machen uns darum schon nach 10 Minuten wieder auf den Weg, zu unserem Startpunkt unserer heutigen Wanderung in Marka am Selfjord, der die Inseln Falkstadøya und Moskenesøya trennt.
Diesmal sind wir mit zwei Autos unterwegs, so daß wir das letzte, 5 Kilometer lange Stück entlang der Straße später nicht laufen müssen. Echte Erleichterung, denn das nervt ganz schön. Bei der heutigen Wanderung mit von der Partie sind wieder Svein-Tore, dann noch ein weiterer Wanderfreund namens Reidar mit Hund und außerdem noch ein anderer Gast des B&B: Johannes aus Österreich, der an Multipler Sklerose leidet, diese Krankheit aber beneidenswert tapfer erträgt. Er möchte gerne aktiv bleiben, solange es eben geht und versucht sich heute an dieser Tour. Die ist zumindest im ersten Teil nicht besonders steil, jedoch über weite Strecken ziemlich vereist, so daß wir nur langsam vorwärts kommen. Johannes kämpft sich mit unsicheren Schritten, aber mit Unterstützung von Anne Gerd durch das Birkenunterholz, das einen großen Abschnitt des Weges bewächst und heute die Passage in Verbindung mit dem Eis enorm erschwert. An einer alten Schutzhütte – nach etwa einem Drittel der Strecke machen wir Rast und beraten, wie es weitergehen soll, denn der nun vor uns liegende Abschnitt ist erstens noch steiler, und zweitens muß man unten von der Bucht Vestervika nach Nordvika auf einer Art Klettersteig über die Klippen gelangen. Denn unser „Tidometer“ sagt uns, daß wir bei unserer Ankunft am Strand noch lange keine Ebbe haben werden. Johannes trifft die einzig richtige Entscheidung und kehrt mit den Norwegern wieder um, während Lukas, Micha und ich die Tour fortsetzen – allerdings aufgrund der fortgeschrittenen Stunde ohne Lagerfeuer-Rast am Strand, sondern an einem Stück durch. Schließlich wollen wir noch im Hellen über den ziemlich steilen und vermutlich ebenso vereisten Pfad zurückgehen.
Nach dem Aufteilen der Gruppe geht es nun zu dritt deutlich schneller voran, auch dank des zunächst noch einmal nur leicht ansteigenden und gangbaren Pfades. Dieser verläuft sich jedoch kurz vor dem Bergrücken, den wir überqueren müssen, im ewigen Eis, weil hier die Sonne im Winter niemals hinkommt. Also ist Vorsicht geboten – auch beim nun folgenden steilen Abstieg zur Bucht Vestervika. Wie zu erwarten, lassen Gezeitenstand und Brandung eine Überquerung direkt unten am Wasser nicht zu. Der Klettersteig ist auch vereist, so daß uns für die Passage zur Bucht Nordvika nur der schmale Pfad weit oben am Steilhang bleibt, wenn wir nicht den ganzen Weg wieder zurück laufen wollen. Wir erreichen schließlich den einsamen Strand und das eigentliche Ziel, eine allein aus allem möglichen Strandgut gebaute Hütte, in der 2012 zwei Studenten ein halbes Jahr lang, im Rahmen eines Uni-Projektes, gehaust haben. Wir rasten hier nur kurz, lassen das mitgebrachte Feuerholz für die nächsten Einsiedler da und beginnen dann mit dem Rückmarsch über das steilste Wegstück der gesamten Tour. Gut, daß wir auf dem zweiten Bergrücken im Hellen ankommen, denn der nun folgende Abstieg hinunter zum Selfjord ist total vereist. Nach einer knappen Stunde erreichen wir unseren clever geparkten Mietwagen und trinken erst einmal eine Sturzbierschorle – denn leider ist das, was in Norwegen in normalen Supermärkten unter dem Begriff „Bier“ verkauft wird, diesen Namen nicht mal ansatzweise wert. Immerhin sind die dort angebotenen Lebensmittel nicht schlechter als bei uns zu Hause und nur geringfügig teurer. Der Faktor 3 wird sich im weiteren Verlauf der Reise noch als guter „Pi-mal-Daumen-Multiplikator“ herausstellen, gerade wenn man Preise für Nahrung vergleicht.
Aber heute brauchen wir uns darum nicht allzu große Gedanken zu machen, denn wir haben vor, mit den Resten von gestern und ein paar ohnehin im Kühlschrank unserer Wirtin vorhandenen Grillwürsten am See hinter dem Haus zu grillen. Dazu noch ein paar Aufbackbrötchen, die wir heute Morgen gekauft haben und: tataa! – das obligatorische Feierabendbierchen. Naja, die dünne Plörre halt. Isbjørn heißt es und stammt von der in Tromsø beheimateten Brauerei Mack, die sich damit rühmt, die nördlichste der Welt zu sein. Unser heutiges Getränk schmeckt wie mit Eisbärenpipi verdünnter Gerstensaft, daher vielleicht der Aufdruck. Dank reichlich Feuerholz aus der Garage gelingt es uns schnell, ein ordentliches Knäck zu entfachen. Ich kann es wieder mal nicht erwarten und versuche die erste Wurst „flame-grilled“ zuzubereiten. Gibt gleich einen Tadel von Anne Gerd – wir sollen ja nicht an Krebs verrecken. Also warten, bis wir etwas Glut erzeugt haben, und dann erst die Pølser drüber gehalten. Wilco! Zur Überbrückung gibt es Ofenkartoffeln mit Salzbutter sowie Fischsuppe mit Brötchen. Johannes setzt sich auch dazu, und so wird es ein netter Ausklang dieses langen Reisetages.

Rast am Markvatnet, Moskenesøya

älter Lofoten im Winter fotografieren
neuer Wintertour 2014: Kurzfilm

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