
Flußlauf des Allt Kinglass, im Hintergrund Beinn a’ Cheistell und Beinn Odhar
Mittwoch, 27. September – 5. Etappe: Crianlairich – Bridge of Orchy
(Länge: 23.3 km, Höhenmeter: 440, Dauer: 5 h)
So, die Hälfte des Weges wäre geschafft. Heute haben wir mit 23 km eine etwas längere Etappe vor uns, aber ohne viel Höhenmeter. Ich bin noch ein wenig müde, als wir nach dem Frühstück aufbrechen. Wieder mal gab’s Full Scottish Breakfast mit allem Pi-Pa-Po. Das ist zwar eine gute Langzeit-Energiequelle, sorgt aber für leichtes Suppenkoma. Erster Boxenstop wird am örtlichen Tante-Emma-Laden fällig. Wir brauchen noch etwas Verpflegung für unterwegs und ich zusätzlich ein paar Blasenpflaster für meine Zehen.
Mit frisch aufgestockten Vorräten geht es den einzigen nennenswerten Anstieg dieser Etappe hinauf. Vom offiziellen Halbdistanz-Marker des West Highland Way an schlängelt sich der Weg durch an den Thüringer Wald erinnernden Baumbestand und gibt nur kurze Sichtachsen frei. Wie schon mein Kollege Peter, mit dem ich auf Kur viel wandern war, gestern am Telefon meinte: „Der West Highland Way ist praktisch der Rennsteig Schottlands.“
Halbzeitpause in Tyndrum. Bei der Rast an der Tankstelle bekomme ich Gelegenheit, einen frisch restaurierten Jaguar E-Type zu knipsen und mit den stolzen Besitzern ins Gespräch zu kommen. Ich bin ja nicht so der Autonarr, aber dieses edle Gefährt gefällt mir total.
Holger kommt mit einer deutschen Wandrerin (Landsleute erkennt man immer an den Jack Wolfskin Klamotten) ins Gespräch, die ich wegen ihrer mit Inbrunst beworbenen Lebenseinstellung mal als “Die Unangepaßte” betiteln würde. Schubladen-Denken. Meine Spezialität. Wenige Kilometer weiter treffen wir wieder auf alte Bekannte, ein Rentnerehepaar aus Baltimore, mit denen wir schon seit Rowardennan immer wieder ein kleines Stück des Weges zusammen gehen. Heute vor beeindruckender Bergkulisse, fast schon wie in Nordnorwegen.
Kurze Zeit später haben uns “Die Unangepaßte”, “Dat Mäuseken” und “Der Ben” eingeholt. Da baggert aber einer kräftig und sucht vermutlich später seine Chance bei der angestrebten Übernachtung zu dritt in einem Zelt irgendwo im Nirgendwo. Falls es dazu kommt. Allein schon das Balzritual ist Entertainment pur.
Zur üblichen Zeit, also zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags, erreichen wir Bridge of Orchy. Unser heutiges Quartier ist wohl das originellste auf dieser Tour – ein ehemaliges Bahnwärterhaus direkt an der West Highland Main Line, von seinen etwas kauzigen Besitzern mit viel Liebe zum Detail eingerichtet. Wir sind die einzigen Gäste und haben freie Zimmerwahl, auch unsere dreckige Wäsche können wir waschen.
Zum Abendessen laufen wir hinunter zum “Bridge of Orchy Hotel”, das mit seiner hervorragenden Küche für zufriedene Gesichter unsererseits sorgt. Nach dem obligatorischen Whisky-Shootout (Highland Park 12 y.o. gewinnt klar gegen einen Macallan Gold) kehren wir zurück zum Taransay Cottage, treffen den Besitzer noch wach an und quatschen eine ganze Zeitlang mit ihm in seinem gemütlichen Wohnzimmer, bevor für uns kurz vor Mitternacht der Hammer fällt.
Seitental bei Bridge of Orchy
Donnerstag, 28. September – 6. Etappe: Bridge of Orchy – Glen Coe
(Länge: 17.6 km, Höhenmeter: 470, Dauer: 3.5 h)
Über Nacht hat es ziemlich geregnet und gestürmt. Die Camper, denen wir immer wieder morgens nach dem Aufbruch begegnen, tun mir ein wenig leid. Während wir‘s uns in der mollig warmen Küche, beim hochwertigsten Frühstück der ganzen Reise gutgehen lassen, lösen sich die Wolken langsam auf und geben den Blick auf die umliegenden Berge frei. Kurz nach 9 Uhr, nachdem ich die Vorbeifahrt des Morgenzuges Richtung Glasgow auf Foto habe, brechen wir auf.
Allzu lang ist unser heutiger Weg nicht, 18 Kilometer bis zum Kingshouse Hotel am Eingang des Tals Glen Coe. Die Luft ist noch feucht und frisch, aber die Sonne kommt heraus und wärmt doch noch ganz schön, so daß ich schon eine halbe Stunde nach dem Abmarsch nur noch mit T-Shirt laufe. Uns überholt mal wieder die “Bikini-Oma”, eine ältere Dame, die den gesamten West Highland Way mit lediglich einem handtaschengroßen Rucksack und spärlicher Kleidung abwandert, weil sie das echte Abenteuer sucht.
Ein erster sanfter Anstieg bringt uns auf einen kleinen Hügel und eröffnet einen atemberaubenden Blick auf den malerischen See Loch Tulla. Scotland at its best – Highlands, Seen, bizarre Bäume unter einem Himmel mit Wolken und Sonne.
Am westlichen Seeufer liegt das Inveroran Hotel. Holger kennt es noch gut von seinem ersten Urlaub auf dem West Highland Way. Hier treffen wir wieder auf Wanderkollegen, diesmal ein kanadisches Paar, etwas älter als wir. Sonst sind sie immer in einer größeren Gruppe unterwegs, aber heute nur zu zweit. Ein paar Kilometer lang gehen wir zusammen, bevor Holger und ich das Tempo am Anstieg zum Rannoch Moor etwas anziehen und uns von den beiden absetzen.
Wir haben Glück, denn bei schlechtem Wetter kann dieser Teil des Weges sehr unangenehm werden, da man im Bereich des Hochmoors nirgendwo Schutz vor Wind und Regen findet. Heute aber sind die Bedingungen ziemlich perfekt, und so passieren wir diesen Abschnitt ohne große Mühe. Unterwegs treffen wir auf “Ben” und “Mäuseken”. Wenn ich ihre Körpersprache richtig deute, kann der Dreier im sturmgepeitschten Zelt letzte Nacht nicht wirklich der Knaller gewesen sein. Und richtig: sie rasten bereits getrennt. Die “Unangepaßte” ist schon lange weg.
Als wir vor uns bereits den Eingang zum Glen Coe sehen können und in nördlicher Richtung ein herrlicher Ausblick in die schier unendlich weiten Highlands lockt, rasten wir an dieser Stelle.
Während wir am Glen Coe Mountain Resort auf den wegen eines Unfalls über eine Stunde verspäteten Fernbus warten, kommen wir mit einer extrem gut gelaunten Wandertruppe junger Leute aus Sachsen ins Gespräch. Schade, daß wir die nicht eher getroffen haben, das wäre sicher lustig geworden.
Unser Übernachtungsort Ballaculish punktet zwar nicht mit unserem Quartier, einem etwas ranzigen B&B namens “Fern Villa”, dafür aber mit dessen Inhaber David, dem lustigsten Gastgeber der Tour und mit einem der besten Restaurants auf der gesamten Reise, dem “Laroch”. Spezialität: Meeresfrüchte. Lecker!
Rannoch Moor

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