Lofoten 2016, Teil 2

Der Weg ist das Ziel

01 Sep 2016 Lofoten 2016, Teil 2


Mittwoch, 20. Juli

Die kleinen Regenschauer gestern Nachmittag waren nur die letzten Zuckungen der nordnorwegischen Wetterküche. Für die nächsten Tage sind geradezu mediterrane Bedingungen vorhergesagt: Temperaturen bis 25°C und wolkenloser Himmel. Wenn ich Melanie das erzähle, wird sie mir wahrscheinlich kein Wort glauben. Sie hatte ja immer eher Pech mit dem Wetter. Morgen soll sogar der wärmste Tag des Jahres werden. Alle Achtung!
Bevor es dann vermutlich zu heiß zum Wandern wird, wollen wir heute eine kleine Bergtour auf unserer Insel unternehmen. Nach einem späten Frühstück brechen wir gemeinsam mit Anne Gerd auf. Unser Mietwagen – ich habe mir heute morgen in Leknes doch noch einen last minute für drei Tage organisiert – wird in Haukland geparkt. Ab da geht es hoch auf den Mannen, jenen 400 Meter hohen Berg zwischen den Stränden von Uttakleiv und eben Haukland. Von seinem Gipfel aus kann man einen herrlichen Rundblick über den zentralen flachen Teil und den gesamten westlichen Küstenabschnitt der Insel Vestvågøya genießen. Ich erinnere mich an die grandiose Aussicht noch von der vorletzten Wintertour mit Lukas und Micha.
Zunächst führt eine schmale Straße etwa einen Kilometer bergan, bevor von dort der eigentliche Pfad abzweigt. Als wir auf diesem etwa einhundert Höhenmeter passiert haben, müssen wir an einem kleinen Wasserfall erstmal pausieren. Johannes möchte Steine werfen und vielleicht einen Staudamm bauen. Allerdings haben wir dafür gerade nicht allzu viel Zeit, denn bis zum Berggipfel ist noch einiges an Strecke zurückzulegen. Ich vertröste meinen Sohn auf den Abstieg, und weiter geht’s bergauf. Bei Höhenmeter 300 passieren wir das kleine Felsplateau, auf dem ich mit Lukas im Wintertour-Video von 2014 ab Sekunde 36 beim Picknick zu sehen bin. Ab hier wird der Pfad sehr schmal und auf beiden Seiten extrem abschüssig, auf einer davon nahezu senkrecht. Als ob man oben auf der obersten Plattform des Eiffelturms steht, nur eben ohne Geländer. Da wird mir schon mulmig und Johannes noch mehr, so daß er mich bittet, an dieser Stelle umzukehren oder wenigstens nicht weiter bergauf zu steigen. Diesen Gefallen will ich ihm gerne tun, schließlich soll er Spaß im Urlaub haben und keine Angst…
Dumm nur, daß unsere Gastmama schon etwas weiter vorausgegangen und nun außerhalb unserer Rufweite ist. Gemsengleich rennt sie förmlich dem Gipfel entgegen. Wenigstens eine Nachricht würde ich ihr gerne zukommen lassen, damit sie oben nicht umsonst auf uns wartet, aber leider habe ich gerade Null Balken Empfang. Also spreche ich einen der vorbeikommenden Wanderer an, zeige ihm ein Foto von Anne Gerd und bitte ihn, ihr auszurichten, daß wir nicht bis ganz nach oben mitgekommen sind. Und das mag ich an Skandinavien: alle Bewohner dieser Region sind freundlich und stets hilfsbereit.
Joe und ich snacken etwas Obst auf dem kleinen Felsvorsprung und genießen (mehr oder weniger) die Aussicht von hier, bevor wir uns wieder an den Abstieg machen. Zurück beim Wasserfall darf Johannes sich endlich erfrischen, Steine schmeißen und den Bau eines Staudamms beginnen. Da Anne Gerd sich auf dem Weg nach unten bis zu uns das ein oder andere Mal verquatscht, hat er dazu reichlich Zeit. Als sie uns endlich erreicht, geht sie nur ein paar Meter mit uns mit und legt dann schon wieder einen ordentlichen Gang zu, so daß sie ungefähr 5 Minuten vor uns am Ziel ist. „Was sollte das jetzt?“ fragt Joe. „Schließlich wollten wir doch zusammen wandern.“ Wohl wahr.
Nach dem etwas enttäuschenden Erlebnis fahren wir wieder zurück zum Haus und chillen ein wenig in der Sitzecke am See. Die Sonne scheint nämlich, und der Wind tritt bestenfalls als laues Lüftchen in Erscheinung. Unsere Herbergsmutter scheint zu spüren, daß uns ihr Vorauseilen eben angekekst hat und fährt als Versöhnungsangebot Zimtschnecken und Kakao auf. Da strahlt der Junge! Während Johannes anschließend sein Glück beim Angeln versucht, übernehme ich als kleinen Freundschaftsdienst das Rasenmähen. Und so vergehen die Nachmittagsstunden wie im Flug. Für das Abendessen bin ich heute verantwortlich, es soll Tom Kha Gai mit Reis geben. Während ich die Zutaten vorbereite, assistiert der Joe den anderen Gästen beim Fliegenfischen, allerdings ist ihnen auch heute das Glück nicht hold. Mit frischer Forelle wird es also in diesem Urlaub nix mehr. Aber die Schweden haben noch ein paar Goodies dabei. Sie tischen selbstgeräucherten Rentierschinken mit knusprigem Brot auf und spendieren als Nachtisch für die Erwachsenen eine Flasche Whisky. So beginnt ein gemütlicher Abend.