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Fjallabaksleið nyðri

Sonntag, 19. September

Über Nacht hat sich das Wetter beruhigt, und die Vorhersage für heute sieht bis zum Nachmittag recht vielversprechend aus. Wolken-Sonne-Mix ohne Niederschläge, erst ab 16 Uhr soll es sich von Westen her zuziehen. Also wieder dieselbe Taktik wie gestern: So weit wie möglich nach Osten fahren, heute ist das Tagesziel der See Langísjör.ALT Seit dem Kauf meines ersten Island-Bildbandes habe ich mich in diesen Ort verliebt. Heutzutage wird die Szenerie und auch der Weg dorthin gerne als eine „out-of-this-world“-Experience beschrieben. Die Erwartungshaltung ist also hoch, und nach einem zeitigen Frühstück geht’s bei strahlendem Sonnen­schein los. Unser Haus liegt nicht allzu weit vom Beginn der F225 Landmannaleið entfernt, was eine hervorragende Abkürzung zu allen Zielen im südlichen Fjallabak und Landmannalaugar darstellt. Wenige Kilometer nach dem Abzweig auf die Hochlandpiste stoßen wir zuerst auf handgemalte Schilder, auf denen „Location“ drauf steht, und kurze Zeit später auf einen Streckenposten mit Warnweste. Nicht weit davon entfernt haben sich auf einem Felshügel gleich zwei Kameracrews aufgebaut und warten offensichtlich auf eine bestimmte Art von natürlichem Licht. Eine ganze Reihe von Pickups mit Anhängern, auf denen sich unterschiedlichstes Film-Equipment befindet, parkt am Wegesrand.ALT Zwei der Männer aus der Rigging Crew fragen wir, was hier gerade gedreht wird – und ernten als lachhafte Antwort: „Ein Werbespot für Mayonnaise“. Harhar. Wir sind doch nicht mit dem Klammerbeutel gepudert! Aus Höflichkeit lassen wir diese unqualifizierte Aussage von Ragnar Scherzkeksson kommentarlos stehen und fahren erstmal weiter. Gleich darauf passieren wir ein großes Camp, wo sich die Filmcrew und auch Schauspieler aufhalten, wenn gerade nicht gedreht wird. Das sieht aber sehr nach großem Budget aus! Da werfen wir doch mal unsere Standard-Suchmaschinen an. Ohne Ergebnis. Im Laufe des Tages finde ich heraus, daß derzeit in dieser Gegend die dritte Staffel der Netflix-Serie „The Witcher“ gedreht wird. Ein paar Instagram Accounts von Mitgliedern des Casts gecheckt – aha! – da erkennen wir doch ein paar markante Gebirgszüge im Hintergrund der Selfies. Rätsel gelöst, Sherlock Hühn kann sich dem nächsten Fall widmen… Auf Empfehlung des „Trackbook Island“,ALT das wir für die Planung unserer Touren mitgenommen haben, verlassen wir an der nächsten Weggabelung die Autobahn F225 und biegen auf die weniger befahrene Dyngjurleið ab, laut Beschreibung im Buch eine genußvoll fahrbare Hoch­­land­route. Und schon hinter dem ersten Anstieg offenbart diese Piste bombastische Weitblicke in eine Szenerie aus bunten Vulkankegeln, grün bewachsenen Hängen an den höheren Bergen und Lava in allen Farben und in unterschiedlichsten Körnungsgraden, soweit das Auge reicht. Wir halten an, die Drohne wird gestartet und zeigt uns gleich nochmal eine neue Perspektive dieser ohnehin schon beeindruckenden Ecke des Hochlandes. Da wir heute noch eine recht weite Strecke zurücklegen wollen, deren Beschaffenheit und damit Passierdauer wir noch nicht einschätzen können, dränge ich bei sämtlichen Fotohalten auf konzentriertes und zügiges Arbeiten – zum Leidwesen von Micha, der unterwegs sicher noch das ein oder andere Motiv mitgenommen hätte,ALT um Füllbilder fürs spätere Fotobuch zu knipsen. Ich sage nur: “weißes Schaf vorm Berg”. Die nächsten längeren Stops legen wir erst unterhalb und dann auf dem Rand des Kratersees Hnausapollur ein. „Die Erde vor 500 Millionen Jahren“ – so sieht dieses Fleckchen Island in meinen Augen aus. Bizarr, kaum mit Worten zu beschreiben. Authentisches Bildmaterial aus diesem Abschnitt der Erdgeschichte ist ja leider Mangelware, aber viele Illustrationen in populärwissenschaftlichen Publikationen gehen optisch in diese Richtung. Wir passieren den See Frostastadavatn (sehr pittoresk, aber leider gerade zu voller Parkplatz), und erreichen nach der Abfahrt hinunter in das Tal der Jökulgilskvísl die ab­­zwei­gende Stichstraße nach Landmannalaugar, die wir jetzt aber erst einmal links liegen lassen. Stattdessen führt unsere weitere Route immer weiter auf der F208 Richtung Südosten, vorbei am Kylingavatn (Hühnersee, natürlich ein obligatorischer Fotohalt), bevor wir mit der Furt über den Fluß Kirkjufellsós das Fjallabak verlassen. Nach ungefähr einer Stunde Fahrt erreichen wir den Abzweig auf die knapp 24 Kilometer lange „Zielgerade“ zum See Langísjör.ALT Und hier beginnt eine dieser atemberaubenden Hochlandstrecken, deren land­­schaft­liche Einrahmung ihresgleichen auf diesem Planeten sucht. Eigentlich möchte ich alle paar hundert Meter anhalten, aussteigen und nur einfach dasitzen und glotzen – aber dann kämen wir halt nicht voran. Vielleicht auf dem Rückweg. Kurz hinter der Abzweigung von der F208 trennt sich fahrzeugtechnisch bereits die Spreu vom Weizen: die Skuggafjallakvísl will überquert werden und erwartet an der dafür vorgesehenen Stelle eine Wattiefe von 70 cm. Noch kurz vor der Furt sehen wir jede Menge Reifenspuren, vermutlich von Autos wie dem Dacia Duster, der zwar günstig zu mieten, für diese Gegend jedoch nicht das optimale Vehikel ist und deshalb hier umkehren muß. Nach der unproblematischen Durchquerung des milchig-trüben Flusses führt die Piste durch ein langes, mit grünem Moos bewachsenes Tal, immer wieder unterbrochen durch Furten an kleinen Wasserläufen und diversen großen Pfützen. Da macht das Fahren richtig Spaß, zumal wir wieder mal im weiten Umkreis die einzigen Menschen sind.

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Langísjör

Nach einer dreiviertel Stunde erreichen wir den See Langísjör, und ich bin völlig baff – weil er in echt noch besser aussieht als auf dem tollen Foto aus meinem ersten Island-Bildband. Ganz am Ende des Weges ragt eine kleine Halbinsel mit einer Schutzhütte darauf in den See hinein.ALT Dort stellen wir das Auto ab und genießen für ein paar Minuten die Stille um uns herum. An der windgeschützten Seite der Hütte baue ich den Kocher auf. Wir wählen heute Rinder-Rouladen mit Rotkraut und Kartoffeln. Diese nahrhafte Mischung ist genau das Richtige in dieser kalten Luft. Hinterher gibt’s noch einen heißen Tee, dann machen wir uns an die Arbeit, sprich ans Fotografieren. Hier unten kann ich eigentlich nur mit der Drohne ein paar sehenswerte Aufnahmen machen, für die normale Kamera ist alles zu sehr von Bergen eingekesselt. Eine bessere Stelle befindet sich auf dem letzten Hügel, den wir eben überquert haben. Also fahren wir dorthin zurück. Ich lasse dort nochmals das fliegende Auge in die Luft steigen, bis zwei von drei Akkus leer sind. Einer muß als Reserve bleiben, denn wer weiß, was uns unterwegs noch erwartet… Erst einmal erwartet uns wieder ein leichter Nieselregen. Das ist für uns das Zeichen zur Rückfahrt. Ein paar gute Spots, die wir auf dem Hinweg ausgelassen haben, nehmen wir jetzt näher ins Visier.ALT Unterwegs kann ich als Beifahrer die Landschaft noch mal richtig in mich einsaugen. Hier sieht es aus wie in einem Fantasy-Film – da, wo die bösen Protagonisten herkommen, also Orks und Gollums und solche Kaliber. Geil! Da wir bis zum Sonnenuntergang noch viel Zeit haben, unternehmen wir auf dem Rückweg einen Abstecher zum Campingplatz im Herzen von Landmannalaugar, wo die Hochlandstraße endet. Zwei ziemlich tiefe, aber ruhige Furten müssen zuvor überwunden werden. Da hier wieder Regen einsetzt, sparen wir uns eine ausführliche Begehung des Areals rund um den Zeltplatz, sondern fotografieren nur die beiden Passagen des Warmwasserflusses Námkvísl. Auf dem Rückweg nehmen wir eine andere Strecke als heute morgen, nämlich die vielbefahrene F208. Weil der nördliche Teil davon von den Wartungsmannschaften der überall in dieser Gegend verbreiteten Wasserkraftwerke genutzt wird, erhoffe ich mir davon wieder Fahrgenuß erster Klasse.ALT Aber weit gefehlt: Schlagloch reiht sich an Schlagloch, und auch die Landschaft rechts und links hinterläßt bei uns den Eindruck: das können die Isländer besser! Immerhin können wir jetzt mitreden. „Fjallabaksleið nyðri? Kannste vergessen. Gibt bessere Strecken, ganz klar!“ Etwa 20 Kilometer vor Hrauneyjar geht dann die Buckelpiste doch endlich in Asphalt über, und unser Toyota kann wieder aufatmen. Sogar die Sonne kommt zum Abschied nochmal kurz heraus, steht aber bereits so tief über dem Horizont, daß sie von den Bergen im Südwesten zumeist verdeckt wird. Egal. “Sonne lacht, Blende acht.” Und Landschaft läuft nicht weg – also werden die Kameras immer mal wieder herausgeholt und ein paar letzte Fotos geschossen. Im Dunkeln kommen wir bei unserer Hütte an. Kurz telefonieren mit den Familien daheim, ein kleiner Snack zum Abendessen, Kamerapflege, Bildersichtung bei einem Bierchen – fertig.

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Landmannalaugar

älter Schottland 2020
neuer Island 2022

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