
Hvítserkur, Nordisland
Samstag, 1. Juli
Eigentlich ist heute Abreisetag, aber unser Flug startet erst eine halbe Stunde nach Mitternacht. Also haben wir noch reichlich Zeit, um nach Reykjavik zu kommen und unterwegs den ein oder anderen Foto-Abstecher zu machen. Kurz vor 11 Uhr verabschieden wir uns von unserer Gastgeberin Guðrun, dann geht es los.
Es nieselt. Hinter dem Goðafoss geraten wir in tiefhängende Wolken, was die Sicht bis wenige Meter über Null drückt. Aber kurz vor Akureyri reißt es dann wieder auf, und uns erwartet eine gute Aussicht auf den Fjord, an dem die Stadt liegt. In deren Hafen haben heute gleich zwei Kreuzfahrtschiffe festgemacht, die muß ich für meinen Sohn unbedingt fotografieren. Aber der graue Himmel ist dabei nicht gerade hilfreich.
Michael und ich stellen wieder einmal fest, daß uns die zweitgrößte Stadt Islands sehr gut gefällt, und daß wir hier nach Möglichkeit auf einer der nächsten Reisen wieder Station machen wollen. In westlicher Richtung hängen wieder tiefe Wolken im Norwegen-lookalike-Tal, das wir vorgestern schon passiert haben. Hinter dem nächsten Bergpaß über die Öxnadalsheiði wird die Sicht besser, aber die Gegend bietet wieder einmal keinerlei Motive. Auch gut, dann schaffen wir wenigsten ein paar Kilometer Strecke am Stück. Und die sogar richtig schnell, denn wir haben uns an einen einheimischen Fahrer drangehängt, der einen ziemlich flotten Schuh fährt und für uns die Blitzervorhut spielt. Toll. Heizen und notfalls andere zahlen lassen! Kurz vor Varmahlið signalisiert uns Gegenverkehr per Lichthupe zu erwartende Feindberührung. Und siehe da, Tomatentheo: kurze Zeit später haben die Bullen am Straßenrand jemanden rausgeholt. Gut, daß wir das nicht waren! 225€ hätten wir heute bestimmt auch zahlen müssen, und das ohne tolles Zielfoto.
Das erste Motiv, für das sich ein Abstecher von der Ringstraße lohnt, ist der Felsen Hvitserkur bei Blönduos (der passenden Haarpflege-Spülung zu Blöndulon). Ist prima ausgeschildert, kann man also nicht verfehlen. Viele Leute bleiben auf der neu errichteten Aussichtsplattform stehen und gucken auf den bizarren Brocken: etwa 10 Meter hoch, sieht aus wie ein versteinertes Dromedar, das aus einem großen Eimer frißt. Wir und andere Fotografen klettern die Klippen bis runter zum schwarzen Strand, um das Tier aus verschiedenen Perspektiven zu knipsen. Üblicher Zeitaufwand, übliche Ausbeute: halbe Stunde, 100 Fotos. Viel Spaß beim Aussortieren!
Jetzt fahren wir auf einem Teil der Ringstraße, der für uns beide noch unbekanntes Terrain ist, denn bei unserem letzten Besuch 2013 sind wir hinter einem Ort mit dem putzigen Namen Laugarbakki (vermutlich Laugengebäck) zu den Westfjorden abgebogen und auf der Rückfahrt deutlich weiter im Süden wieder auf die Straße Nr. 1 eingeschert. Viel haben wir allerdings nicht verpaßt. Eintönige Hügellandschaft mit gelegentlichem Fernblick auf den Langjöküll. Unweit der Ortschaft Bifröst entdecken wir links ein architektonisches Juwel: ein futuristisches Designerhaus auf einem schmalen Berg mit Rundumblick auf ein Lavafeld. Geil! Wäre genau mein Ding. Leider verpasse ich die Gelegenheit für ein Erinnerungsfoto.
Es ist Nachmittag, wir haben noch viel Zeit bis Reykjavik und entscheiden uns deshalb für einen letzten Streckenabschnitt mit Hochlandstraße: die Kaldidalur-Strecke 550, ebenso wie die Kjölur-Route seit ein paar Jahren ohne das F. Kurz bevor der Straßenbelag von Asphalt nach Schotter wechselt, liegt noch ein weiteres Touristen-Highlight direkt am Weg: die Wasserfälle Hraunfossar und Barnafoss. Der erste eine ins Querformat gedrehte Ansammlung vieler kleiner Fälle, der zweite einer aus der „Fall-hier-rein-und-du-bist-sofort-tot“-Kategorie. Viele Leute, viel Sonne, wenig gute Fotos. Aber als Beweis reichen sie, und um Melanies Interesse zu wecken sowieso.
Jetzt erwischt uns doch noch mal der Regen. Schnell steigen wir ins Auto ein und fahren weiter. Ein paar gute Motive müssen wir darum entlang der Strecke sausenlassen. Konzentrieren wir uns also auf das letzte Highlight, den Langjöküll. Von der F550 zweigt im nördlichen Teil ein Stichweg ab, der direkt auf dem Gletscher endet. Da wollen wir hin. Eine halbe Stunde später stehen wir am Rand des Schneefeldes und sind hin und weg ob der tollen Szenerie. Ein paar Erinnerungsbilder fürs Fotoalbum schießen wir noch, dann müssen wir weiter. Der Weg war bis eben nicht gerade erstklassig, und vor uns liegen noch drei Viertel der ehemaligen F-Straße. Und wie schon bei der Kjölur-Route ist auch der Kaldidalurvegur unterste Schublade, was die Oberflächen angeht. Spitze Felsbrocken scheinen der Hauptbestandteil der Piste zu sein, und man muß wie Hölle aufpassen, um sich nicht die Reifen oder den Unterboden aufzuschlitzen. Nach ungefähr zwei Stunden Rüttelei beginnt der Abstieg Richtung Laugarvatn. Auf den letzten 15 Kilometern hat das isländische Straßenbauamt sogar eine Asphaltierung springen lassen, und so kommen wir gegen 19 Uhr am Þingvellirvatn an.
Angesichts des heiteren Wetters entscheiden wir uns für ein letztes Abendmahl an der frischen Luft. Heute hat Maître Michael eine delikate „Balaton-Platte“ angerichtet: Paprika-Chips, Spargelcreme-Suppe und ungarisches Gulasch aus der 5-Minuten-Terrine. Auf der Picknickbank packen wir nach dem Abspülen noch unsere Sachen ein und in die Koffer um und entfernen den Müll aus dem Auto.
Weil wir immer noch Zeit ohne Ende haben, probieren wir einen Abstecher zu einem in der Ferne dampfenden Kraftwerk. Immer in Sichtweite des Þingevllirvatn. Plötzlich taucht in einem sichtgeschützten kleinen Tal wie aus dem Nichts eine Villensiedlung auf – alle Häuser recht üppig dimensioniert, mit tollem Blick auf den See und ziemlich gut gegen ungebetene Besucher abgesichert. Ganz klar: hier hat die isländische High-Society ihren Rückzugsort. Das Kraftwerk ist dagegen eher unspektakulär, und so drehen wir an dieser Stelle um. In Reykjavik waschen wir beim letzten Boxenstop einmal gründlich unser Auto und tanken voll. Beim Procar-Büro ist wenig los, und der Angestellte, der die Endabnahme durchführen soll, freut sich über die blitzblank geputzte Karre.
Eine halbe Stunde später stehen wir in der Schlange vor dem Checkin-Schalter am Flughafen. Jetzt noch schnell durch die Sicherheitskontrolle, und dann haben wir noch Zeit für einen Snack und zur Suche nach Mitbringseln. Immerhin für Melanie finde ich einen Pack handgefertigtes Meersalz aus den Westfjorden, das wir aus einer Reisesendung kennen. Perfekt! Die Kinder brauchen nix, die bekommen am Wochenende Zeugnisgeld und können sich dafür selbst was Nettes kaufen. Mit leichter Verspätung startet unser Flug. Micha versucht, eine Mütze Schlaf zu kriegen, während ich wieder mal kein Auge zu bekomme und Pläne für die nächste Reise schmiede…
Hraunfossar

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