
Ringstraße im Skeiðararsandur, Blick Richtung Skaftafell
Montag, 27. Mai
Nach einer Nacht mit Sturm, aber ohne Strom (wegen des Sturms) können wir heute beim Frühstück nicht bummeln. Sondern wir müssen sehen, daß wir zügig los kommen. Denn um halb zwölf beginnt unsere „Glacier extreme“ Tour, eine Wandertour mit Eisklettern am Falljökull, einem Ausläufer von Europas größtem Gletscher Vatnajökull. Das Wetter ist heute Morgen „so mittel-bombe“, wie mir bei der Abfahrt rausrutscht. Will heißen, es regnet, der Wind bläst moderat aus unterschiedlichen Richtungen (aber immer ins Gesicht), und die Sichten sind eher schlecht. Ein typischer Island-Sommertag eben. Wir können uns also unterwegs sämtliche Fotohalte sparen, außer im Skeiðarasandur, dem größten Sandergebiet Islands mit einer Fläche von unglaublichen 1000 km². Dies entspricht etwa der Größe von Berlin (fairerweise muß man etwas davon abziehen: sagen wir mal „Spandau weg!“ – ab ins Meer damit, die wollten eh nie zu Berlin gehören), nur eben ohne Häuser. Alles schwarzer Sand, unterbrochen lediglich von einigen Schmelzwasserflüssen, die hinab vom Vatnajökull zum Atlantik fließen. Klingt mächtig gewaltig, oder?
Mit reichlich Zeitvorlauf erreichen wir die Ausgangsbasis unserer Wanderung. Unser Guide Robin aus Finnland versorgt uns mit Kletterausrüstung, und dann geht’s auch schon los. Mit einem alten amerikanischen Schulbus fahren wir zu einem Punkt, der etwa eine halbe Stunde Fußmarsch vom Fuß des Gletschers entfernt liegt. Der Pfad führt durch schwarzen Sand, in dem der Schmelzwasserfluß des Falljökull vor sich hin mäandert. Dieses Gebiet sieht jeden Tag anders aus, mitunter kann sich die gesamte Wegstrecke innerhalb von wenigen Stunden verändern, wie wir später noch erfahren sollen. Die Steigeisen werden angeschnallt, und dann geht es rauf aufs Eis. Unser Ziel ist die Unterkante eines riesigen Eisfalls, etwa 300 Höhenmeter sind bis dahin zurückzulegen. Klingt nicht viel, aber mit Steigeisen in unwegsamem Terrain dauert der Aufstieg doch über 2 Stunden. Erwähnte ich schon, daß es ununterbrochen regnet, seit wir aus dem Bus ausgestiegen sind?
In einer windgeschützten Gletscherspalte machen wir Rast und verzehren die mitgebrachten Sandwiches. Führer Robin kann immer wieder neues Wissen über die Geologie Islands vermitteln. Jetzt müssen wir nur noch nach einem geeigneten Platz fürs Eisklettern suchen. Nicht ganz so einfach, zumal uns lautes Grollen etwas oberhalb unserer Position aufschreckt. Da hat sich im höher gelegenen Teil des Eisfeldes ein großer Brocken gelöst, dessen Reste man in einiger Entfernung ins Tal purzeln sehen kann. Ganz normal, sagt der Guide. Na dann. Wir finden nach einigem Umherspazieren auf dem Gletscher eine geeignete Spalte, von deren oberen Rand sich jeder von uns erst abseilt, um dann mit zwei Eisäxten wieder hinauf zu klettern. Weil ich das Verfahren von meinen Wintertouren nach Schweden schon kenne, gehe ich als erster. Während wir warten, bis alle Teilnehmer der Tour mindestens einmal klettern konnten, genieße ich den Blick hinunter ins Tal und auf die Küste. Gigantische Aussicht. Wäre ohne Regen praktisch gar nicht auszuhalten, so schön ist das Panorama.
Mittlerweile sind seit unserem Abmarsch schon fast 4 Stunden vergangen. Der Weg nach unten führt uns diesmal über die Außenseite des Falljökull, was die Sache insofern kompliziert, als in der „Außenbahn“ des leicht kurvigen Gletschers die Spalten größer und somit schwieriger zu überwinden sind. Aber schließlich kommen alle heil am Fuß des Eismassivs an. Uns fallen eine ganze Reihe kleiner grüner Moosbällchen auf, die in unregelmäßigen Abständen im Eis verstreut liegen. Dies sind sogenannte „Gletschermäuse“, die dadurch entstehen, daß Samen von Moos, der durch den Wind hierher geweht wird, auf der Oberseite von kleinen Felsbrocken haften bleiben und dort anwachsen. Rollt nun der Stein ein wenig nach unten, liegt die Oberseite vielleicht unten, und das Moos wächst um den Brocken herum, bis er ganz davon bedeckt ist. Ein netter kleiner Farbtupfer.
Bevor wir den Rückmarsch zum Busparkplatz antreten, können wir noch eine Eishöhle betreten und fotografieren. Cool! Der Weg, den wir heute Morgen gekommen sind, ist durch den sich ständig ändernden Verlauf des Schmelzwasserflusses nicht mehr da. Zum Teil weggespült, an anderen Stellen unpassierbar. Wahnsinn, mit welcher Geschwindigkeit sich hier die Landschaft verändert. Mittlerweile hat sogar der Regen mal kurz ausgesetzt. Diesen Umstand wollen wir ausnutzen und den unweit vom Skaftafell gelegenen Svartifoss fotografieren. Der Marsch zu dem von schwarzen Basaltsäulen eingerahmten Wasserfall (daher der Name „schwarzer Fall“) dauert eine halbe Stunde. Für gute Bilder führt unser Motiv heute leider zu viel Wasser und sorgt mit seiner Gischt für ständig versuppte Linsen und nasse Ausrüstung. Also sind wir bald wieder auf dem Rückweg. Schließlich liegen bis zu unserem heutigen Nachtlager, einem Bed & Breakfast in Höfn, noch etwa 130 Kilometer, und die wollen auf Landstraße bei Regen (wer hätte das gedacht?) erst mal bewältigt werden. Kurz nach 21 Uhr erreichen wir das „Guesthouse Dyngja“, das von einem jungen isländischen Paar geführt wird. Beide sind in der Küche zu Gange. Von Fanney bekommen wir die neuesten Informationen über Straßenzustand und Passierbarkeit der Bergpässe im Osten Islands, die wir morgen befahren wollen, und ihr Mann Sindri lädt uns zu einem Glas Whisky ein. Echt nett! Das hilft, nach diesem langen Tag etwas herunterzukommen. Micha sortiert oben in unserem Zimmer schon die Fotos des Tages, während ich mit dem Herrn des Hauses über Webseiten-Gestaltung mit WordPress fachsimpeln kann. Ein langer Tag geht kurz nach Mitternacht zu Ende…
Eishöhle unter dem Falljöküll

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